Von der Nacht verzaubert
hatte.
»Hat sich die zweite Person denn vorgestellt?«, fragte Jean-Baptiste.
»Nein«, antwortete ich.
Die anderen wechselten fragende Blicke.
»Könnte es Lucien gewesen sein?«, fragte er.
»Ich habe nur einmal mit ihm gesprochen, und das war in einem lauten Klub. Deshalb kann ich es wirklich nicht sagen.«
»Das ist bestimmt eine Falle«, sagte Gaspard und rieb nervös seine Hände aneinander.
»Natürlich ist es eine Falle«, stimmte Jean-Baptiste zu. Nachdem es eine kleine Weile still gewesen war, nickte er und sagte: »Ich verstehe.« Er stand auf und kam auf mich zu. »Vincent sagt, deine Schwester wird heute Abend an einer Veranstaltung teilnehmen, die Lucien initiiert hat.«
Die Party hatte ich völlig vergessen. »Mein Gott, stimmt ja«, stieß ich hervor und wurde ganz blass bei der Vorstellung, in welcher Gefahr Georgia sich befinden könnte. »Das ist eine große Feier in der Nähe des Place Denfert-Rochereau. Der Klub heißt Judas.«
»Denfert?«, Ambrose lachte hämisch. »Ja, so heißt der Platz heute. Früher nannte man ihn ›Barrière d’enfer‹, also die Schranke zur Hölle. Dort liegt der öffentliche Eingang zu den Katakomben. Die perfekte Location für einen Laden, der von Dämonen betrieben wird.«
»Kein Wunder, dass Lucien und seine Gefolgschaft sich da gern aufhalten«, fügte Jules hinzu. »Sie haben wahrscheinlich die Hälfte der Knochen selbst beigesteuert.«
I ch hatte als Kind mal eine geführte Tour durch die Katakomben mitgemacht. Im späten Mittelalter waren sie als unterirdische Steinbrüche angelegt worden, und als die Stollen nicht mehr genutzt wurden, hat man sie mit Gebeinen von Pariser Bürgern gefüllt, um Platz auf den Friedhöfen zu schaffen.
Paris gibt es seit mehreren Jahrtausenden. Verständlicherweise waren die winzigen Kirchenfriedhöfe gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts restlos überfüllt. In manchen Quellen steht geschrieben, dass Leichen durch die Straßen trieben, wenn die Seine Hochwasser führte. Die städtischen Behörden schlossen die Friedhöfe und ordneten an, die Gebeine zu exhumieren und in die Stollen zu überführen, die sich unter den Pariser Straßen entlangschlängelten.
An den Wänden der Katakomben waren die jahrhundertealten Knochen der ehemaligen Bürger zu dekorativen Mustern wie Herzen, Kreuzen oder Ähnlichem aufgeschichtet worden. Es war ein unheimlich gruseliger Anblick. Wenn ich auch nur daran dachte, dass sich jemand freiwillig dort aufhielt ... Ein kalter Schauer schüttelte mich, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, welches Monster sich von so einem Ort angezogen fühlen würde.
»Hat er vielleicht gesagt, wo genau in den Katakomben?«, fragte Jean-Baptiste. »Die Tunnel erstrecken sich über mehrere Kilometer.«
Ich schüttelte den Kopf.
Gaspard verließ das Zimmer und kam mit einer großen Rolle aus Papier zurück. »Ich hab hier eine Karte vom Kanalsystem und den Katakomben.«
»Gut«, sagte Jules. »Wenn Lucien uns in den Katakomben treffen will, während diese Party läuft, schätze ich, dass es einen Zugang direkt vom Klub aus gibt. Von fast jedem Keller in dem Viertel führen Schächte in die Katakomben. Einer von uns sollte diesen Zugang im Augen behalten.«
»Ich möchte mitkommen.«
Im Zimmer wurde es still, alle starrten mich sprachlos an.
»Aus welchem Grund?«, fragte Jean-Baptiste.
»Weil meine Schwester in Gefahr ist.« Meine Stimme brach.
Jules legte mir zärtlich einen Arm um die Schultern. »Kate, deine Schwester ist nicht in Gefahr. Lucien und seine Leute haben heute was Größeres vor. Ich fürchte, die wollen uns ein für alle Mal erledigen. Da wird ihnen ein Menschenleben ziemlich egal sein.«
Ambrose nickte. »Und nimm’s mir nicht übel, wenn ich das so sage, Katie-Lou, aber mit deinen Kampfkünsten bist du sicher keine Hilfe für uns, sondern eher eine Belastung.« Er wandte sich an Jean-Baptiste. »Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir Vincents Körper hier nicht unbewacht zurücklassen sollten, falls die Numa mitbekommen haben, dass er hier ruht.«
Jean-Baptiste warf Gaspard einen Blick zu und nickte. »Gut, ich bleibe hier«, stimmte Gaspard zu und breitete dann die Karte auf dem Tisch aus. Alle beugten sich über seine Schultern, um auch einen Blick darauf zu werfen. Dann entwickelten sie gemeinsam einen Plan.
»Jeanne wartet in der Küche auf euch«, sagte Jean-Baptiste schließlich. »Es sollte jeder unbedingt noch etwas essen, bevor wir aufbrechen. Für den Kampf
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