Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
Vom Netzwerk:
auf. Die verschnörkelten, gewundenen Formen bildeten auf der Leinwand ab, wie es in mir aussah. Meine Atmung verlangsamte sich mehr und mehr, während meine Gedanken mich allmählich davontrugen. Die anderen Gemälde in diesem Raum, der Wachmann am Eingang, der Geruch von frischer Farbe, ja selbst die vorübergehenden Touristen verblassten zu einem einheitlichen grauen Hintergrund, der dieses eine Rechteck aus Farbe und Licht umrahmte.
    Ich habe keine Ahnung, wie lange ich dort saß, bevor mein Verstand nach und nach aus diesem selbst verursachten Trancezustand zurückkehrte und ich leise Stimmen hinter mir vernahm.
    »Komm mal hierher und sieh dir diese Farben an.«
    Eine lange Pause. »Welche Farben?«
    »Genau. Das hab ich dir doch letztens erzählt. In nur vier Jahren lässt er die hellen, kräftigen Töne eines Les Demoiselles d’Avignon hinter sich und geht zu diesen monotonen graubraunen Puzzles über. Was für ein Angeber! Pablo musste immer der Beste sein, egal was er auch anfasste. Letztens habe ich noch zu Gaspard gesagt, was mich richtig ankotzt ...«
    Ich drehte mich neugierig um, wollte wissen, aus wem dieses geballte Wissen heraussprudelte, und erstarrte. Höchstens vier Meter entfernt von mir stand einer von Vincents Freunden, und zwar der mit den Locken.
    Erst jetzt, als ich ihn so direkt vor mir sah, erkannte ich, wie attraktiv er war. Er hatte etwas Wildes an sich — zerzauste, ungepflegte Haare, ein leichter Stoppelbart und große, raue Hände, mit denen er leidenschaftlich gestikulierte. Vom Zustand seiner Hose, die mit Farbe beschmiert war, schloss ich darauf, dass er selbst Künstler war.
    All diese Gedanken schossen mir im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf, denn schon im nächsten Moment hatte ich für nichts und niemand anderes mehr Augen als für den Menschen neben ihm. Den hübschen Jungen mit dem rabenschwarzen Haar. Den Jungen, der selbst noch in der hintersten Ecke meines Gehirns lauerte, seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Vincent.
    Warum musste ich mich ausgerechnet in den unmöglichsten, unerreichbarsten Jungen von ganz Paris verknallen? Er war viel zu schön — und unnahbar —, um mich jemals zu bemerken. Ich musste meinen Blick fast gewaltsam von ihm lösen, lehnte mich vor und legte mein Gesicht in meine Hände. Es half nichts. Vincents Bild war unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt.
    Was immer es war, das ihn auf bestimmte Art kühl, ja fast gefährlich wirken ließ, verstärkte mein Interesse an ihm nur noch, anstatt mich abzuschrecken. Was war bloß los mit mir? Normalerweise stand ich nicht auf die schlimmen Jungs — das war eher Georgias Spezialität. Mein Bauch krampfte sich zusammen, als ich mir überlegte, ob ich wohl den Mut hätte, zu ihm zu gehen und ihn anzusprechen.
    Aber ich konnte nicht mal einen Versuch starten, denn als ich irgendwann meinen Kopf hob, waren sie verschwunden. Schnell lief ich zum nächsten Raum und lugte hinein. Er war leer. Und dann wäre ich fast tot umgefallen, weil plötzlich eine Stimme leise hinter mir »Hallo, Kate« sagte.
    Vincents Gesicht tauchte gute fünfzehn Zentimeter über meinem auf. Meine Hand flog vor Schreck auf meinen Brustkorb. »Danke für den Herzinfarkt«, keuchte ich.
    »Ist das eine Masche von dir, deine Tasche irgendwo liegen zu lassen, damit man einen Aufhänger für eine Unterhaltung hat?« Er grinste und nickte zu der Bank, auf der ich eben noch gesessen hatte. Darunter lag meine Tasche. »Wäre es nicht wesentlich unkomplizierter, einfach zu jemandem hinzugehen und Hallo zu sagen?«
    Sein leicht spöttischer Ton verscheuchte meine Nervosität. An ihre Stelle trat eine heftige Gereiztheit, die uns beide überraschte. »Gut! Hallo«, knurrte ich, meine Kehle eng vor Wut. Ich marschierte zu der Bank, schnappte mir meine Tasche und stolzierte hinaus.
    »Warte!«, rief er, lief hinter mir her und versuchte, mit mir Schritt zu halten. »So hatte ich das doch nicht gemeint. Ich wollte ...«
    Ich blieb stehen und starrte ihn an. Wartend.
    »Es tut mir leid«, sagte er und atmete hörbar aus. »Ich war noch nie bekannt für meine Unterhaltungskünste.«
    »Warum versuchst du es dann überhaupt?«, fragte ich ihn und schlug einen herausfordernden Ton an.
    »Weil ... Du bist — keine Ahnung — amüsant.«
    »Amüsant?« Ich betonte jede einzelne Silbe und bedachte ihn mit meinem Du-spinnst-wohl-total-Blick. Meine geballten Fäuste stemmten sich wie von selbst in meine Hüften. »Erklär mir mal eins,

Weitere Kostenlose Bücher