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Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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und wurde zum Kriegsdienst gezwungen. Viel zu sensibel, um mitanzusehen, was auf den Schlachtfeldern passierte.«
    Ich nickte nachdenklich. »Dann seid ihr fast alle in Kriegen umgekommen?«
    »In Kriegszeiten findet man am schnellsten jemanden, der anstelle eines anderen gestorben ist. Vermutlich passiert das ständig, fällt aber nicht auf.«
    »Willst du mir damit sagen, dass in ganz Frankreich Leute sterben, die wiederauferstehen könnten? Unter den richtigen Voraussetzungen?« Mein Kopf schmerzte. Irgendwie überwältigte mich nach wie vor der Gedanke, dass die Welt, in der ich lebte, ganz anders war, als ich immer geglaubt hatte.
    Vincent lachte wieder. »Kate, nicht nur in Frankreich. Ich möchte wetten, dass dir in New York City jede Menge Revenants begegnet sind, nur dass du natürlich nicht ahnen konntest, dass da gerade ein Zombie deinen Weg kreuzt.«
    »Aber warum ausgerechnet du? Ich schätze mal, die wenigsten Feuerwehrmänner, Polizisten oder Soldaten werden nach drei Tagen wieder wach — und die retten auch Leben.«
    Vincent antwortete: »Wir wissen nicht, warum manche Menschen dazu prädestiniert sind, Revenants zu werden. Jean-Baptiste meint, es liegt in den Genen. Gaspard glaubt, dass es nichts als Schicksal ist. Dass manche Menschen einfach dazu auserkoren wurden. Bisher konnte niemand belegen, woran es genau liegt.«
    Ich überlegte, ob es wohl Natur oder Zauberei war, die Vincent und die anderen erschaffen hatte. Irgendwie war es schwer, die beiden auseinanderzuhalten, seit meine gewohnte Welt auf den Kopf gestellt worden war.
    Vincent goss mir ein Glas Wasser ein. Ich nahm es dankbar und nippte daran, während er weitere Scheite auf das inzwischen wieder fast heruntergebrannte Feuer legte. Dann setzte er sich vor mir auf den Boden. Die Couch war so niedrig und er so groß, dass wir fast auf Augenhöhe waren, seine Augen nur ein wenig unterhalb von meinen. Er sprach nun mit Bedacht weiter, seine Worte sorgfältig wählend.
    »Kate, ich hab mir Gedanken darüber gemacht, wie das mit uns klappen könnte. Ein Mal ist es mir bisher gelungen, dreiundzwanzig zu werden. Da konnte ich fünf Jahre lang dem Drang widerstehen zu sterben. Jean-Baptiste hatte mich damals gebeten durchzuhalten, um meinen Juraabschluss zu machen. Er brauchte jemanden, der sich um unsere familiären Angelegenheiten kümmern konnte. Es war nicht leicht, aber ich habe es geschafft. Er hatte diese Aufgabe für mich vorgesehen, weil er wusste, dass ich stärker bin als die anderen. Und er selbst kann diesem Verlangen schon seit über fünfunddreißig Jahren widerstehen. Ich weiß also, dass es möglich ist.«
    »Die Frau, mit der du mich im La Palette gesehen hast ...« Sein Gesichtsausdruck wurde gequält.
    »Ja, Geneviève. Jules hat erzählt, sie ist nur eine Freundin.«
    »Ich hatte gehofft, dass du ihm glaubst. Das muss sehr eindeutig ausgesehen haben. Aber ich hatte Geneviève gebeten, sich mit mir zu treffen, weil ich mit ihr über ihr Leben sprechen wollte. Sie ist verheiratet. Mit einem Menschen.«
    Mir klappte die Kinnlade runter. »Aber ... Wie?«
    »Sie ist ungefähr zur gleichen Zeit gestorben wie ich, da hatte sie gerade geheiratet. Und ihr Ehemann hat überlebt. Als sie drei Tage später belebt wurde, ist sie zu ihm zurückgekehrt. Seither waren sie immer zusammen.«
    »Ihr Mann muss ja schon ...«
    »Er ist über achtzig.« Vincent vervollständigte meinen Gedanken.
    Ich versuchte, mir vorzustellen, dass diese schöne blonde Frau mit einem Mann verheiratet war, der alt genug war, um ihr Urgroßvater zu sein. Was führte sie bloß für ein Leben?
    »Sie sind noch immer verliebt wie am ersten Tag, aber das war natürlich insgesamt alles andere als leicht für die beiden«, fuhr Vincent fort. »Sie konnte den Trieb zu sterben nicht unterdrücken. Gleichzeitig wurde sie von ihrem Mann dazu ermutigt, die Aufgabe zu erfüllen, die das Schicksal ihr zugeteilt hat. Er ist sehr stolz auf sie und sie völlig vernarrt in ihn. Aber bald wird er sterben, das ist der Lauf der Dinge, und dann ist sie ganz allein. Das ist eine der Möglichkeiten, wie es gehen könnte, aber keine, die ich guten Gewissens jemandem aufbürden möchte.«
    Vincent nahm meine Hände in seine. Sie waren warm und stark und schickten eine Gefühlswelle durch meinen ganzen Körper, die in meinem Herzen zusammenlief. »Kate«, sagte er sanft, »ich kann mich von dir fernhalten. Es wäre schlimm für mich, aber ich könnte es, wenn ich wüsste, dass es dir

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