Von der Nacht verzaubert
und gab ihr das gigantische Blumengebinde.
»Von Christian Tortu«, sagte sie anerkennend, als sie die Karte des Floristen am Strauß entdeckte. »Wie reizend.«
»Ich nehme deinen Mantel«, sagte ich. Vincent schälte sich aus seiner Jacke und zum Vorschein kam ein Hemd, blau wie ein Drosselei, das in einer dunklen Cordhose steckte.
Ich konnte kaum fassen, dass dieser gut aussehende Junge sich herausgeputzt und Blumen mitgebracht hatte, um meine Familie zu beeindrucken. Und das nur meinetwegen.
»Papy, ich möchte dir gern Vincent Delacroix vorstellen«, sagte ich, als mein Großvater aus seinem Arbeitszimmer auftauchte.
»Schön, Sie kennenzulernen, Monsieur«, sagte Vincent sehr förmlich, als sie sich die Hand gaben. Er hielt die Papiertüte hoch und sagte: »Die ist für Sie.«
Papy nahm sie entgegen. Er zog eine Flasche Wein heraus und staunte nicht schlecht, als er das Etikett las: »Ein Chateau Margaux von 1947? Wie sind Sie denn an den gekommen?«
»Das ist ein Geschenk von meinem Onkel, der mir berichtete, dass ihm schon die Ehre zuteilgeworden ist, Sie kennenzulernen, Madame«, sagte Vincent zu Mamie.
»Oh?«, entfuhr es Mamie verwundert.
»Er hat Ihnen kürzlich ein Gemälde zur Restaurierung vorbeigebracht. Monsieur Grimod de La Reynière.«
Mamies Augen weiteten sich. »Jean-Baptiste Grimod de La Reynière ist Ihr Onkel?«
Vincent nickte. »Ich wohne seit dem Tod meiner Eltern bei ihm.«
»Oh«, Mamies Augen nahmen einen weichen Ausdruck an. »Es tut mir sehr leid zu erfahren, dass Sie und Katya das gleiche Schicksal teilen.«
Bevor sie noch tiefer gehende Fragen stellen konnten, nahm ich Vincents Hand und führte ihn ins Esszimmer. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ein Glas Champagner vielleicht?«, fragte Papy, während wir uns neben dem Kamin niederließen.
»Oh ja, gerne. Das ist sehr aufmerksam, vielen Dank«, sagte Vincent.
»Ich auch, bitte«, sagte ich und nickte Papy zu. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, kam Georgia herein.
Sie trug ein umwerfendes grünes Seidenkleid, neben dem mein einfaches schwarzes Kleid völlig trist wirkte. Vincent stand höflich auf. »Georgia«, setzte er an, »ich weiß, Kate hat sich in meinem Namen dafür entschuldigt, dass wir dich damals einfach allein in dem Restaurant zurückgelassen hatten. Aber ich wollte dir selbst noch mal sagen, wie leid es mir tut. Ich hätte das nie getan, wenn es Ambrose nicht plötzlich so schlecht gegangen wäre. Trotzdem ist es einfach unverzeihlich, ich weiß.«
»Ich halte mich für eine sehr verständnisvolle Person«, schnurrte sie und setzte dabei ein wenig ihren Südstaatenakzent ein. »Wenn du nicht so verdammt süß wärst, weiß ich nicht, ob ich dir das durchgehen lassen würde. Aber unter diesen Umständen ...«, sie verstummte allmählich, während sie ihm fast im Zeitlupentempo die bises auf die Wangen hauchte.
»Um Himmels willen, Georgia! Würdest du mir noch was von ihm übrig lassen?«, rief ich empört und schüttelte den Kopf.
»Ich nehme an, das heißt, du hast mir verziehen?«, fragte Vincent lachend.
In Frankreich dauert eine Mahlzeit gern mal ein paar Stunden. Ganz besonders, wenn man Gäste hat. Glücklicherweise hatten wir am nächsten Tag Schule, weshalb jeder Gang nur ungefähr eine halbe Stunde dauerte. Außerdem wollte ich nicht, dass meine Großeltern nach den ersten zurückhaltenden Fragen zu schnell mit den persönlichen Fragen anfingen, die sie sicher an unseren mysteriösen Gast hatten.
»Vincent, ich nehme an, Sie studieren?«, fragte Papy, als wir zur Hälfte durch die Horsd’œuvres waren. Vincent antwortete, dass er Jura studiere. »In Ihrem jungen Alter? Ich will ja nicht zu neugierig sein, aber wie alt ...?« Mein Großvater ließ die Frage unvollendet im Raum stehen, damit er sie nicht direkt stellen musste.
»Ich bin neunzehn. Mein Onkel hat mir jedoch Privatunterricht geben lassen, deshalb habe ich ein paar Jahre Vorsprung.«
»Sie Glücklicher«, nickte Papy anerkennend.
Danach verhinderte Vincent erst mal weitere Fragen an sich, indem er selbst welche stellte. Papy erzählte ihm mit großer Begeisterung und ausschweifend von seinem Antiquitätengeschäft und von den Reisen, die er unternommen hatte, um so manches besondere Objekt aufzutreiben. Schließlich war er ja auf außerordentliche Einzelstücke spezialisiert. Manche seiner Reisen hatten ihn bis in den Nahen Osten und sogar nach Nordafrika geführt.
Vincent erwähnte sein Interesse an
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