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Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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genommen wurde, gab Informationen preis oder gestand. Um ehrlich zu sein, war die Miliz gefährlicher als die Gestapo und die SS, weil ihre Handlanger unsere Sprache sprachen und sich im Land wahnsinnig gut auskannten. Außerdem waren sie Freunde oder Nachbarn von denen, die sie verrieten.« Vincent sah mir in die Augen. »Das war ein finsteres Kapitel in Frankreichs Geschichte.«
    Ich nickte, sagte aber nichts. Wir überquerten eine Allee und hielten weiter auf sein Zuhause zu.
    »Lucien hat Hunderte direkt und Tausende indirekt in den Tod getrieben und sich durch alle Folterungen und Morde bis an die Spitze der Organisation vorgekämpft. Er war bald einer der führenden Kräfte innerhalb des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, das dem Vichy-Regime unterstand. Im Juni 1944 drang eine Gruppe von Résistance-Kämpfern verkleidet als Mitglieder der Miliz in das Ministerium ein, wo Lucien und seine Frau zu ihrem eigenen Schutz untergebracht worden waren. Es war spät in der Nacht. Die Gruppe fand das Paar im Bett vor und tötete beide.«
    Mein Mund blieb offen stehen. Das klang so, als hätte er das alles selbst erlebt. »Warst du einer von ihnen?«, fragte ich.
    Vincent nickte. »Mit ein paar anderen Revenants, der Rest waren Menschen, die nicht wussten, wer beziehungsweise was wir waren.«
    »Aber damals muss Lucien noch ein Mensch gewesen sein. Du hast doch mal gesagt, dass Revenants keine Menschen umbringen, wenn es sich vermeiden lässt.«
    »Unser Befehl lautete, Lucien gefangen zu nehmen, bis sein Fall vor einem Gericht verhandelt werden konnte. Aber einer der Menschen aus unserer Gruppe hatte durch ihn seine ganze Familie verloren und konnte sich nicht bremsen. Er hat sie beide erschossen.«
    Es schüttelte mich, als sich diese furchtbaren Informationen in meinem Kopf in lebhafte Bilder verwandelten. Natürlich wollte man bei solchen Zusammenhängen immer, dass der Böse verliert. Aber wenn ich mir das vorstellte: Er wurde mit seiner Frau erschossen, in seinem Bett. Es war einfach viel zu schrecklich, darüber nachzudenken.
    »Lucien hat unsere Gesichter nie vergessen. Seit er als Revenant aufgewacht ist, hat er uns gejagt. Er konnte die meisten menschlichen Mitglieder unserer Gruppe aufspüren und töten und hat letzten Endes sogar die beiden anderen Revenants getötet, die an seiner Ermordung beteiligt waren. Ich bin der Einzige, der noch übrig ist. Wir haben uns schon mehrfach gegenübergestanden, aber es ist ihm noch nicht gelungen, mich zu töten. Und umgekehrt auch nicht.«
    »Warum um alles in der Welt hat Charles dann mit ihm gesprochen?«, wollte ich wissen.
    »Eins muss dir im Hinblick auf Charles klar sein: Er ist kein schlechter Junge. Er hat nur ein ernsthaftes Problem. Ich hab dir doch erzählt, wie schwer es ihm immer noch fällt, sich mit seinem Schicksal abzufinden. Es ist nicht leicht, immer wieder zu sterben. Wenn man jemanden rettet und diese Person danach dann ein schönes Leben führt, bekommt man das Gefühl, dass es sich gelohnt hat. Aber manchmal läuft es eben anders.
    Manchmal gelingt es dem Selbstmörder, den man einmal gerettet hat, dann beim zweiten Mal. Der Jugendliche, den man vor seinem Tod an einer Überdosis bewahrt hat, bekommt die Kurve nicht und landet wieder genau da, wo er vorher war. Das ist der Grund, weshalb Jean-Baptiste uns einen zu engen Kontakt mit den Menschen verbietet, die wir gerettet haben.
    Aber das Schlimmste ist und bleibt, wenn man es versucht und dann scheitert. Charles konnte diesem kleinen Mädchen nicht helfen. Er hat das andere Kind gerettet, aber das bedeutet ihm nichts. Er ist wie besessen von seinem Versagen. Und den Konsequenzen, die das für die Mutter des Mädchens hat. Er hat ein gutes Herz«, fuhr er leise fort.
    »Vielleicht ein zu gutes Herz. Das war jedenfalls der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Der einzige Grund, der mir einfällt, wieso Charles sich an Lucien gewendet hat, ist, dass er mit unserem Schicksal einfach nicht mehr klarkommt. Dass er sterben will. Wenn er sich in ihre Hände begibt, müssen sie nichts weiter tun, als ihn töten und danach seinen Körper verbrennen. Und den Wunsch erfüllen sie ihm sicher mit dem größten Vergnügen.«
    »Er will sich umbringen?« Ich blieb schockiert stehen. Bei dem Gedanken, dass Charles sich selbst dem Tod ausliefern wollte, gefror mir das Blut in den Adern.
    »Es sieht ganz danach aus.« Vincent nahm meinen Arm und zog mich weiter. Wir waren fast

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