Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
lasse es auf der Reling trocknen. Wenigstens das klappt.
Erst am nächsten Morgen kreuzte ich in die weit geschwungene Hafenbucht von Kingstown. Es war der 13. Dezember 1966.
Amerika. Ich habe es allein geschafft. 47 Tage. 2856 Seemeilen auf dem Schlepplog. Das ist nicht großartig. Segeltechnisch. Für mich trotzdem ein ziemlich guter Tag. Quatsch, ein Tag fürs Leben. Ich bin nicht gescheitert. Werde nicht scheitern. Ich bin 25 und habe soeben einen Ozean überquert. Allein mit meinem Können, meinen Mitteln, meiner Kraft. Mutterseelenallein, würde meine Mutter sagen. Da ist mir wirklich ein Ding gelungen. Ich stehe auf dem Bug, recke mich, fühle mich größer als der Mast. Klopfe mir selbst auf die Schulter.
Stolz notierte ich diese Zeilen sofort in mein Logtagebuch. Und dann?
Dann sprang ich über Bord. Tauchte ein ins blaue Wasser und schwamm eine große Runde in der Bucht, um ganz entspannt meine kathena vor Anker zu bewundern. Schrie über den Hafen, wo ich absolut solo war. Himmlisch! Danach schwebte ich in eine Bar, schwebte in der kleinen Stadt den Hang hoch und ließ es mir gutgehen. Erst spät am Abend begriff ich, dass Alleinsegeln sowohl Vergnügen als auch Strafe ist. Ich wollte reden, mich mitteilen, aber da war niemand.
Vier Seemeilen haben meinen Lebensweg entschieden. Vier Meilen, das kommt 30 Minuten Segelzeit gleich, die mich vor Schiffbruch in den Grenadinen retteten. Es wäre das Ende aller meiner Seefahrerträume gewesen. Ob ich nochmals Kraft und Willen gefunden hätte, jahrelang auf ein Boot hinzuarbeiten? Überhaupt eine lange Fahrt von neuem zu planen? Ich habe große Zweifel.
Obwohl: Da ist das Meer. Der Pazifik, der Atlantik und das Südpolarmeer. Das Leben auf dem Meer ist und bleibt meine große Liebe. Nicht das Land Schleswig-Holstein, die Knicks und Wälder, das Bauerndorf, Fußball, Holzhacken und Rennrad. Auch nicht unsere Binnenseen – so verlockend sie auch daliegen und auf Segler warten. Es ist das Meer. Ich habe da draußen immer wieder wunderbare Momente erlebt. Sah Wellen und Weiße, die sonst niemand sieht. Wie hoch, wie steil darf eigentlich eine Welle sein, damit sie mein Schiff nicht unter sich begräbt? Die Physik der Wellenberge zeigt mir, dass es nur eine Welle gibt, die mich vernichten könnte. Und die kommt nie allein. Sie kommt gestaffelt. Blau und grün, grau und weiß sind ihre Farben. Die Luft ist dann von Gischt erfüllt und sinnlich der Geschmack von Salz auf der Haut. Für mich gibt es nichts Schöneres, als auf dem Meer zu segeln. Abends in den Himmel zu schauen, ob ins herrliche Licht der pazifischen Südsee oder in die unendliche Gräue der südlichen Breiten. Dafür mache ich es.
Warum das Meer? Warum fortgesetzt Segeln übers Meer? Weil es da ist, weil es zwei Drittel unseres Planeten bedeckt und weil es nass ist. Ja, auch weil es einen vor Herausforderungen stellt. Keine andere »Landschaft« bietet diese Faszination in Kombination mit ernsthaften Aufgaben.
Natürlich wird man sich bewusst, dass dieses gewaltige Element tödlich sein kann. Als 15 bis 20 Meter hohe Seen sich am Heck des Bootes brachen, habe ich mich wirklich gefürchtet. Das war 1985 während meiner ersten Nonstop-Fahrt. Da erstarrten Körper und Geist. Das Adrenalin jagte durch den Körper. Stundenlang. Zwei Mal ist es mir passiert, dass ich resigniert habe – bildlich gesprochen, den Kopf in den Segelsack gesteckt habe. Denn ich hätte nichts anders machen können.
Doch zu guter Letzt am Ziel erfüllt mich wieder und wieder ein großes Gefühl der absoluten Leichtigkeit, es geschafft zu haben. Ich glaube, nirgends sonst ist der Bruch beim Wechsel vom bürgerlichen Leben in die pure Natur harscher und einfacher. Alles ist für mich schöner am Meer, im Meer und auf dem Meer.
Ein Boot, zwei Segel. Auf geht’s. Schweben übers Wasser (auch wenn du schläfst). Schwimmen (der Geschmack von Salz und Algen). Faulsein (nichts tun und trotzdem zufrieden sein).
So fing es bei mir an. Kein Wecker würde mich aus dem Morgenschlaf holen. Keine Kompromisse standen an. Da ich allein segeln wollte, würden mir keine »Durchblicker« hereinreden. Alles dies war für mich entscheidend. Genau davon träumte ich. Kochen auf einem einflammigen Kocher, Logbuch schreiben, in der Seekarte Ziele abstecken und nach dem Kompass den Kurs steuern. Nackt und ungestüm wollte ich leben. Wenn mir die Lust nach Land stand, würde ich in einer Bucht vor Anker gehen oder in einem Hafen festmachen,
Weitere Kostenlose Bücher