Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
wenn ich Lust zum Schwimmen hätte, Segel bergen und über Bord springen. Jeder Handgriff würde eine Nuance zum Gelingen beitragen. Jede einzelne Tätigkeit wäre wichtig. Daher wollte ich immer aufmerksam und sorgfältig an die Dinge herangehen.
Das war wahrscheinlich eine völlig verklärte Sicht auf die Dinge, aber heute wünsche ich mir manchmal, dass die Segelwelt ein wenig einfacher wäre, weniger technische Hilfsmittel im Angebot hätte. Viele Zusammenhänge sind heutzutage nur schwer durchschaubar. »Kommen Sie«, sagte einmal ein Ostseesegler zu mir, »ich zeige Ihnen mal, was ich alles an Bord habe.« Radar, Bimini, Heckdusche, Mikrowelle, Kaffeemaschine, Kühlung, Heizung, Plotter, den besten Computer. Voller Stolz wurde mir all das vorgeführt. Wenn ich jedoch vor einer Ozeanfahrt die Wahl zwischen einem schlichten Boot und einer Yacht mit perfekter Technologie hätte – ich würde das einfache Boot wählen und den Computer am Kai stehen lassen. Immer.
Natürlich war Segeln in den frühen Sechzigern ohne Selbststeueranlage, ohne GPS, Rollsegel und andere sogenannte Erleichterungen äußerst mühsam. Mein Holzboot leckte von oben wie von unten. Ich habe mich halbe Tage mit der Astronavigation im Kopf und auf dem Papier betätigt, um die Position festzustellen. Das gibt’s aus heutiger Sicht gar nicht mehr. Mit einem GPS-Handhold für 200 Euro kann man um die Welt segeln. Aber die Welt damals drehte sich auch um einiges langsamer. Auf den ersten Blick haben früher Angst und Sorge und Arbeit rund ums Boot die Freiheit beim Ozeansegeln beschnitten, aber vielleicht haben die geringeren Anforderungen den Segelmenschen damals auch einiges leichter gemacht. Es gab weniger Behördenpflichten, weniger Auflagen, weniger Kosten.
Wünschen würde ich mir, dass junge, abenteuerlustige Segelfans vieles unter einen Hut bringen: Schule, Beruf, Erfolg, Partnerschaft, Aussteigen. Es ist wunderbar, dass das heute möglich ist. Aber weil eben alles möglich ist, will man auch alles erreichen. Manchmal kommt es mir vor, als würden manche versuchen, den Inhalt von vier Leben in eines zu stecken. Umso schwerer erkennt man dann, was für einen als Mensch und Segler wirklich wichtig ist, welchen Weg man einschlagen sollte.
Um es gleich zu sagen: Ich bin bis heute dem Einfachen treu geblieben und glaube, so der Faszination des Natursports Segeln nähergekommen zu sein.
Den Sand lieben und mit dem Wind wandern
Achill Moser
Jeder von uns bewahrt mehr oder weniger verborgen eine Sehnsucht nach dem Nomadenleben.
Michel Butor
Als ich fünfzehn war, wollte ich zum Mare Tranquilitatis. Ein lateinischer Name, der soviel wie »Meer der Ruhe« bedeutet. Ein Meer ohne Wasser, deren steinerne Wellen von einem nicht vorhandenen Wind aufgekräuselt wirken. Von diesem Mare Tranquilitatis träumte und schwärmte ich, sodass mich meine Freunde zuweilen für total verrückt hielten. Und recht hatten sie, denn der Haken war, dass das Mare Tranquilitatis ein Mondmeer ist auf dem Erdtrabanten, das sich auf den selenographischen Koordinaten 8° 30' N 31° 24' E befindet. Eine lebensfeindliche Region, die in Äquatornähe des Mondes liegt, der seit Tausenden Millionen Jahren ein toter Trabant ist.
Ohne einen Tropfen Wasser, ohne Pflanzen, ohne Menschen und ohne Tiere ist das Mare Tranquilitatis ein wüstes Meer, das einen mittleren Durchmesser von 873 Kilometern hat. Dort, inmitten einer relativ ebenen Oberfläche, landete am 20. Juli 1969 die erste bemannte Mondfähre von Apollo 11. Wie eine überdimensionale Spinne wirkte die in einer Prismenform gebaute Landefähre Eagle mit ihren vier Teleskopbeinen. Als sie mit den amerikanischen Astronauten Neil Armstrong und Edwin Aldrin sanft auf der Mondoberfläche aufsetzte, wirbelte sie Milliarden Jahre alten Wüstenstaub auf, während Michael Collins an Bord des Mutterschiffes Columbia blieb und den Mond umkreiste. Aus den Sichtluken des Raumschiffs behielt er den Erdtrabanten im Blick, wo die Sonneneinstrahlung, durch keinerlei Atmosphäre gefiltert, auf über 100 Grad Celsius steigt, während die Temperatur auf der Schattenseite des Mondes auf mehr als 200 Grad unter null fällt.
In der Einsamkeit und Weite der Wüste wird das Gehen zur Meditation.
Einen Tag später, am 21. Juli, setzte Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf die Oberfläche des Mondes und schickte per Funk einige Worte zum amerikanischen Raumfahrtzentrum Houston. Worte, die um die ganze Welt gingen: »Ein
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