Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
mich zu. »Das ist mir egal. Das ist nicht wichtig.«
»Ist es doch. Sollte es. Das bin nämlich ich. Es hat mich zu der gemacht, die ich bin.«
»Ach was. Du kannst sein, wer du willst, Rose«, sagte er, und ich lächelte.
Es war das letzte Mal, dass ich jemandem erlaubt habe, mich Rose zu nennen.
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E r hat mich abblitzen lassen, deshalb hab ich es getan. Das haben die Zeitungen doch alle geschrieben, oder? Die Hölle selbst kann nicht wüten wie eine verschmähte Frau, wussten schon die alten Dichter. Aber die Wahrheit ist: Ich habe mich für sie entschieden, nicht für ihn. Für Emily statt für Rose. Ich weiß, was ich Juliet damit angetan habe. Das streite ich auch nicht ab. Ich weiß, was sie verloren hat, aber ich habe auch etwas verloren. Ich hätte glücklich sein können.
Ich hätte glücklich sein können.
Aber damit lassen sich keine Zeitungen verkaufen.
Den Rest weißt du: Wie es geendet hat, unter dem Baum in Brighton. Keine Ahnung, wie Juliet dorthin gekommen ist. Wahrscheinlich ist sie die ganze Strecke von London bis dorthin gerannt. Als sie auf dem Hügel vor mir stand, war sie jedenfalls so außer Atem, dass es gut hätte sein können. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie sie mich dort überhaupt gefunden hat, unter genau diesem einen Baum, neben dem Cottage mit den roten Fensterläden. Ich kann mich nicht daran erinnern, ihr die Adresse gegeben zu haben, als ich sie anrief.
Aber da war sie.
»Rose!«, rief sie atemlos, als sie auf mich zugerannt kam.
Das war es, was ich gewollt hatte. Dass sie mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen auf mich zustürzte. Und ich war bereit, war endlich bereit. Als ich sie schluchzend angerufen hatte, hatte ich gewusst, dass sie kommen würde. Ich will mich umbringen, hatte ich zu ihr am Telefon gesagt. Ich werde mir mit einer Klinge die Handgelenke aufschneiden und dann im Gras verbluten. Erde zu Erde. Aber als ich sie dann auf mich zustürmen sah, packte mich nur noch eine fürchterliche Wut. Sie war gekommen. Nach allem, was ich ihr angetan hatte, war sie trotzdem gekommen. Das hätte sie nicht tun dürfen. Sie hätte mich am Telefon anbrüllen müssen, dass ich sie gefälligst in Ruhe lassen sollte, dass wir keine Freundinnen mehr waren. Dass ich doch Mike anrufen sollte, wenn ich jemanden brauchte. Aber das tat sie nicht, und dafür hasste ich sie nur noch umso mehr.
Hast du jemals so jemanden kennengelernt? Jemanden, der so gut ist – nicht perfekt, sondern gut –, dass man sich selber daneben wie Abfall fühlt? Wenn ich mit Sid zusammen das Gefühl hatte, fliegen zu können, dann war es in Gegenwart von Juliet genau das Gegenteil. Nie würde ich vom Boden abheben können, das spürte ich. Ich würde den Rest meines Lebens in der Mülltonne verbringen.
»Rose«, keuchte sie, als sie vor mir stand.
Als ich aus London wegfuhr, war das Wetter schlecht gewesen. Trüb und grau. Man wusste beinahe nicht, ob es Tag oder Nacht war. Jetzt aber kam auf einmal die Sonne heraus, und alles glänzte und leuchtete. Doch ich sah nur sie, ihre roten Lippen, die Sonnenstrahlen auf ihren dichten Wimpern, und ich war bereit, alles zu beenden. Endlich. Und in diesem Moment bemerkte ich Sid.
»Ro«, schrie er, als er auf mich zurannte.
»Was machst du denn hier?«, wollte ich ihn anschreien, brachte aber nur ein heiseres Flüstern heraus.
Er hätte nicht da sein dürfen, kapierst du? Ich hab dir ja schon mal gesagt, dass du nicht alles glauben sollst, was geschrieben wird. Es hätte nur mich und Juliet geben sollen. Und auf einmal tauchte er auf.
Ich drehte mich zu Juliet. Ich musste daran denken, wie sie in der Buchhandlung auf dem Boden gesessen hatte, mit
Wer die Nachtigall stört
auf dem Schoß, und war noch fester entschlossen als vorher.
»Warum hast du ihn mitgebracht?« Sie antwortete nicht, aber ich wusste es auch so. »Weil du ihn brauchst«, sagte ich mit einem kaum merklichen Lächeln. Ich hatte immer gewusst, dass sie ihn liebte, doch plötzlich begriff ich, wie sehr sie ihn auch brauchte. Seit ich sie kannte, hatte ich nie den Eindruck gehabt, dass sie einen anderen Menschen wirklich brauchte. Aber jetzt war es so.
Ich legte den Kopf zurück und lachte, so laut, dass die Vögel von den Ästen aufflatterten. Ich blickte ihnen nach, wie sie in den Himmel aufstiegen. Mein Blick streifte den Baum. »Ich bin schon lange nicht mehr hier gewesen«, sagte ich und legte eine Hand auf den rauen Stamm. »Beim letzten Mal war ich
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