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Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Titel: Von ganzem Herzen Emily (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya Byrne
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zerstören!«
    »Warum sollte es denn zerstört werden, wenn du hier spielst, Emily?«
    »Weil hier alles so grässlich ist! Grau und hoffnungslos und grässlich – und die Musik ist etwas so Schönes!« Ich deutete auf das Cello. »Darauf können Töne erklingen, die so schön sind, dass man auf einmal zu schweben glaubt. Ich will nicht, dass Sie das zerstören. Niemals.«
    Sie nickte. »Weil du so glücklich warst, als du Cello gespielt hast. Damals im Musikzimmer in St. Jude’s. Und später mit Sid in dem Laden.«
    »Hören Sie auf.«
    »Du kannst wieder glücklich sein, Emily. Du wirst wieder glücklich sein.«
    Sie hielt mir den Bogen hin, und ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
    Wir starrten einander an, den Bogen zwischen uns. Als ich das Blut in meinen Ohren rauschen hörte, merkte ich erst, wie still es in dem Zimmer war. Wie ungewohnt still. Das lag daran, dass der Fernseher nicht eingeschaltet war. Mein Herz klopfte noch heftiger. Ich musste an Val denken, malte mir aus, wie sie jetzt tot in ihrer Zelle lag, und da gab ich schließlich nach.
    Ich nahm den Bogen, den Doktor Gilyard mir entgegenstreckte. »In Ordnung.« Blut schoss mir heiß ins Gesicht, als ich nach dem Cello griff. »Aber wir brauchen auch Zuhörer.«
    Und damit stürmte ich aus dem Zimmer, das Cello vor mir hertragend.
    Dreizehn Köpfe hoben sich von ihren Plastiktellern mit Pommes und aufgeplatzten Würsten.
    Ich zerrte einen Stuhl in die Mitte des Raums, setzte mich und rückte das Cello zwischen meinen Knien zurecht. Ich fasste das Instrument nicht ehrfürchtig und sehnsüchtig an wie an jenem Nachmittag in dem Musikladen in Camden, ich bemühte mich auch nicht, es erst einmal richtig zu stimmen, ich spielte einfach drauflos. Der Ton, den ich mit meinem Bogen hervorbrachte, war grässlich, wie wenn Fingernägel über eine Tafel kratzen, und ich merkte, wie alle im Raum zusammenzuckten. Ich blickte zu Doktor Gilyard – Doktor Gilyard in ihren blank polierten schwarzen Pumps, ihrem ordentlichen Rock und ihrer frisch gebügelten Bluse – und fuhr mit dem Bogen genau so noch einmal über die Saiten, wieder und wieder, bis das Cello nur noch aus einem einzigen Schrei zu bestehen schien. Der Klang war so schmerzhaft – so boshaft –, dass sich alle gequält von mir abwandten, und ich begriff: Das ist es, was ich anderen antue, ich verhalte mich so, dass jeder schnell zur Seite blickt, wie bei dem Verrückten, der in der U-Bahn immer laut über Gott schimpfte.
    Ich sah zum Tisch, zu den dreizehn Köpfen, die sich über ihn beugten und auf ihre halb leer gegessenen Teller starrten, und spielte noch härter und lauter, bis ich spürte, wie mir die Tränen über die Wangen liefen. Ich wollte sie verletzen, ich wollte, dass sie das hässliche Geräusch hörten, dass die ganze Zeit durch meinen Kopf schrillte. Der Lärm des Kampfes zwischen der Emily, die ich einmal war, und der Emily, die ich jetzt bin. Ich wollte, dass sie hörten, wie ich mich fühle.
    Damit sie hören können, wie es mich umbringt.
    Doch dann geschah es, dass mein Bogen, ohne dass ich es gewollt hätte, immer sanfter und zärtlicher über die Saiten strich, und die Töne, die er ihnen entlockte, waren so klar und rein, dass ich schauderte. Ich merkte, dass ich eines meiner Lieblingsstücke von früher spielte. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal so leicht gefühlt hatte. Beinahe glücklich. Aber noch lange nicht so glücklich wie damals in St. Jude’s oder wenn ich mit Sid zusammen war. Ich spielte immer weiter und weiter, bis ich ganz atemlos war und alle von ihren Tellern aufschauten. Bis Doktor Gilyard näher kam und die Pflegerinnen sich in der Tür drängten. Bis alle im Raum zu schweben schienen. Das Cello hatte angefangen zu singen.

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    G enau deshalb hatte ich nicht Cello spielen wollen. Weil ich wusste, dass es so kommen würde. Dass ich danach nicht mehr würde schlafen können. Cello zu spielen hatte meinen Körper wieder mit Wärme und Hoffnung erfüllt, genauso wie damals an dem Nachmittag mit Sid im Musikladen in Camden. Als ich dachte, ich könnte alles tun. Ich könnte fliegen.
    Es gibt so viel, was ich sagen möchte. Ich kann gar nicht schnell genug schreiben. Weil ich den Stift so fest umklammert halte, habe ich davon schon einen Abdruck am Finger. Ich weiß, dass wir jetzt allmählich zum Kern der Sache kommen. Darauf hast du doch schon die ganze Zeit gewartet, oder? Es kümmert dich nicht

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