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Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Titel: Von ganzem Herzen Emily (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya Byrne
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nicht funktioniert, Emily?«
    »Weil ich nicht –« Ich beendete den Satz nicht, weil ich durch einen Vogel abgelenkt wurde, der im Sturzflug nach unten schoss und dann wieder hochflatterte.
    »Was nicht, Emily?«
    »Weil es mir nicht besser geht.«
    Danach war es eine Weile sehr still. Ich spürte das Schweigen zwischen uns, dick wie Rauchwolken; es reichte bis an die Wände und füllte die Ecken.
    »Willst du denn, dass es dir besser geht, Emily?«
    Ja, das will ich. Früher einmal konnte ich lauter Dinge tun. Ich konnte Essen in den Mund stecken und schmecken. Ich konnte die Augen schließen und schlafen. Ich konnte ganz normale Dinge tun wie mir die Nägel lackieren. Ich erinnere mich an die Septembernachmittage im Park mit Sid und Juliet. Wir haben Chips gegessen und über die Filme gequatscht, die wir uns ansehen wollten, und die Sonne versank langsam hinter den Bäumen. Es kommt mir vor, als sei das eine Ewigkeit her. Werde ich jemals wieder so etwas Normales tun können? Oder werde ich es irgendwann vergessen? Werde ich vergessen, wie es sich anfühlt, wenn man auf feuchtem Gras sitzt? Werde ich jemals wieder in einen endlos blauen Himmel hochblicken, oder werde ich von jetzt an immer nur Streifen davon sehen?
    Ich hörte, wie Doktor Gilyard etwas aufschrieb, und drehte mich wieder zu ihr um.
    »Du wirkst sehr erschöpft, Emily«, sagte sie. »Ich werde dir etwas geben, damit du besser schlafen –« Ich ließ sie den Satz nicht beenden.
    »Nein!«, rief ich mit geballten Fäusten. »Nicht noch mehr Pillen!«
    »Emily –«
    Ich machte einen Schritt auf sie zu. »Keine Pillen mehr! Ist das die einzige Antwort, die Sie auf alles wissen? Reden. Eine Pille schlucken. Reden. Eine Pille schlucken. Reden. Eine Pille schlucken. Reden. Eine Pille schlucken.«
    Als sie sich nicht rührte, fuhr ich sie an: »Tun Sie was! Tun Sie irgendetwas!«
    »Was soll ich denn tun, Emily?«, fragte sie, und als sie die Brille abnahm, um mir in die Augen zu schauen, hätte ich sie am liebsten an den Schultern gepackt und sie geschüttelt. Aber ich war wie gelähmt vor Zorn und konnte mich nicht bewegen. Hätte ich es dennoch versucht, wäre etwas in mir zerbrochen, da war ich mir sicher.
    »Helfen Sie mir!«, flüsterte ich heiser. »Helfen Sie mir!«
    Da stand sie auf und legte ihr Notizbuch auf dem Sitz ab, was mich so verblüffte, dass ich sie nur anstarren konnte.
    »Okay, Emily. Komm mit.«
    »Wohin?«, fragte ich.
    Sie antwortete nicht, sondern ging nur hinaus.
    Als ich ihr zur Treppe folgte, roch es im Korridor nach Pommes frites. Danach riecht es dort immer: nach Pommes, Zigarettenrauch und noch etwas anderem. Metallisch und streng. Nach dem Material, aus dem die Türen und Schlüssel gefertigt sind. Derselbe Geruch, wie wenn man Pennystücke länger in der Hand hat.
    Ich hörte das Klappern von Doktor Gilyards Absätzen auf der Stahltreppe, als sie die Stufen hinunterging. Dann war sie unten angekommen. Ich spähte über das Geländer und sah, wie sie in das Fernsehzimmer ging. Meine Neugierde siegte. Ich rannte die Stufen hinunter und folgte ihr in das Zimmer.
    Als ich das Cello sah, wäre ich fast wieder hinausgerannt.
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte geahnt, dass das irgendwann kommen würde. Ich wusste es.
    »Emily –«, fing sie an, aber ich schüttelte den Kopf.
    »Nein.« Mein Herz klopfte so stark, dass ich Angst hatte, gleich einen Herzinfarkt zu bekommen. »Nein. Nicht hier drinnen.«
    Sie runzelte die Stirn. »Warum nicht?«
    Ich deutete auf das Cello. Meine Hand zitterte, aber es war mir egal, ob sie es bemerkte. »Nicht hier. Warum haben Sie es hierhergebracht? Sie dürfen es nicht hierherbringen.«
    »Warum nicht, Emily?«
    »Ich werde nicht darauf spielen. Niemals. Ich werde es nicht einmal berühren.«
    Um zu beweisen, dass ich es ernst meinte, kam ich nicht näher, sondern wich bis zum Türrahmen zurück. Wir schauten uns eine Weile an, ich mit vor der Brust verschränkten Armen, sie mit dem Cello neben sich, als wäre es ihr wie ein treuer Hund gefolgt.
    »Aber es könnte dir helfen, Emily.«
    »Wie denn?«, schrie ich so laut, dass mein ganzer Körper zitterte.
    »Ich weiß, dass du von Musiktherapie nicht viel hältst, Emily, aber –«
    »Nein! Ich werde hier drinnen nicht spielen!«
    »Warum nicht, Emily?«
    »Weil es so schön ist!«, sagte ich und machte ein paar zögerliche Schritte in den Raum hinein, bis ich vor ihr stand. »Es ist so schön, und ich will nicht, dass Sie es

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