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Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Titel: Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Graefin von Bruehl
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gut ausgebaut wären, kämen wir nicht so schnell voran. Wir würden auf längeren Strecken den Autopiloten einschalten, der uns daran hindert, das Limit zu überschreiten, uns im Sessel zurücklehnen und uns auf eine geruhsame Fahrt einlassen. Und wenn uns die neuen Navigationssysteme nicht suggerieren würden, dass die Strecke Berlin–München in fünf Stunden zu bewältigen ist, würden wir auch nicht versuchen, solchen Ansprüchen zu genügen. Wir könnten das Unterwegssein genießen, vielleicht die Rapsfelder und Hopfenstauden rechts und links der Autobahn bewundern.
    Unsere Gier nach Schnelligkeit ist außer Kontrolle geraten. Wir kennen keine Grenzen mehr. Ich muss an den Philosophen Paul Virilio denken, der in seinem bekannten Aufsatz
Fahren, fahren, fahren
die Lust an der Geschwindigkeit als Aggression bezeichnet. Sie hatte, seinen Worten nach, von Beginn an kein anderes Ziel als Krieg und Zerstörung. »Der Maschinen-Mensch des Altertums, der Relais-Mensch des 18. Jahrhunderts werden im Zuge |34| der Militarisierung der europäischen Gesellschaften zum Projektil-Menschen des 19. Jahrhunderts: zur ursprünglichen Geschwindigkeit des zahmen Körpers tritt, gesteuert von der logistischen Revolution der Armeen, der Nationen, seine technische Beschleunigungsart. ›Die Armee ist eine riesige Granate, die der Generalstab abfeuert‹, sagte der Kommunarden-General Cluseret.«
    Doch auf Virilio hat keiner gehört. Die Sucht nach Mobilität hat weiter zugenommen. Wir fliegen heute selbstverständlich für einen zweistündigen Termin nach Köln oder Hamburg und reisen für eine Woche nach New York. Von Zweckmäßigkeit, Genuss oder gar von Umweltschonung kann dabei keine Rede sein. Als mein Studienkollege Franz – er hatte Jura studiert – gleich nach dem Refendariat in einer erfolgreichen Berliner Anwaltskanzlei landete, schnell mit aufregenden Fällen betraut und kreuz und quer durch die Welt geschickt wurde, um seine Mandanten zu treffen und ich ihm ein halbes Jahr später zu dem schnellen Start gratulierte, klagte er nur, wie anstrengend der Job sei: »Am Anfang ist es toll. Du fliegst durch die ganze Weltgeschichte, triffst hier jemanden, dort jemanden, trägst Anzug und Krawatte und bist ungeheuer wichtig. Aber im Grunde ist es scheußlich. Gestern musste ich für einen Mandanten nach Hamburg, stand dort drei Stunden in einer zugigen Montagehalle herum, bekam einen lauwarmen Kaffee, musste mit lauter unzufriedenen Menschen reden, mich dann sputen, rechtzeitig meinen Flieger zurück nach Berlin erwischen, und habe schon auf der Rückreise hektisch die ersten Notizen in meinen Laptop gehackt. Abends lag ich mit einer Erkältung im Bett. Aber heute früh ging es gleich weiter. Ich bin in die Kanzlei, |35| habe der Sekretärin die nötigen Details zu Protokoll gegeben und mich von meinen Kollegen für die nächste Sache briefen lassen. Morgen muss ich nach Paris, von dort weiter nach London. Der Spaß an dem Job ist mir längst vergangen.«
    Dieser Wahnsinn herrscht keineswegs nur im Berufsleben. Längst ist die allgemein erwartete Mobilität ins Privatleben übergeschwappt. Wer in den Ferien nicht verreist, hat keinen Urlaub gemacht, wer sich nicht eilig genug fortbewegt, lebt hinter dem Mond. Colin Beavan, der in seinem wunderbaren Buch
Barfuß in Manhattan
beschreibt, wie er ein Jahr lang versucht mit seiner Familie in New York konsequent klimaneutral zu leben, schildert eindrücklich die Hektik, die regelmäßig in den USA ausbricht, wenn das traditionelle, allherbstliche Familienfest Thanksgiving naht: »Die Reiserei an Thanksgiving ist Stress. Genau genommen ist Reisen überhaupt Stress. Man muss packen, das Auto abholen, sich etwas ausdenken, damit die Kinder ein paar Stunden lang ruhig sind, sich durch den Feiertagsverkehr kämpfen, auf verspätete Flüge warten und einen Internetanschluss finden, damit man bei seinen Mails auf dem Laufenden bleibt. Wenn man dann endlich angekommen ist, müssen alle sofort gute Laune zelebrieren, denn man ist ja nur kurze Zeit da. Man hat nicht einmal Zeit für ein Nickerchen. Und dann ist es schon wieder vorbei, und man muss sich auf den (ebenso stressigen) Heimweg machen.«
    In der ersten Phase meines Selbstversuches habe ich mich bemüht, meine Mobilität generell einzuschränken. Ich bin langsamer Fahrrad gefahren, habe mich im Auto strikt an die gebotene Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten und auf der Autobahn nach Möglichkeit an ein |36| Tempo von durchschnittlich

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