Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
woher weiß diese Nadine aus Mühltal davon?“
„Das steht da doch. Sie hat unsere Geschichte gelesen.“
„Aber ich hab doch gar nichts aufgeschrieben!“
„Vielleicht kommt das ja noch.“
Ich dachte nach. Niemand sagte etwas. Ich genoss die Stille.
„Und wie kann sie mir jetzt eine E-Mail schicken zu einer Geschichte, die ich vielleicht in der Zukunft schreibe?“, fragte ich schließlich.
„Du musst noch vieles über Lichtwiese lernen“, war Strom-Toms knappe Antwort.
Ich scrollte ganz nach unten in der Hoffnung, doch noch eine Erklärung zu finden. „Viele Grüße, Nadine. P.S.: Ihr habt nicht mehr viel Zeit“, las ich mit steigender Unruhe. „Der Chef weiß, dass ihr nicht mehr in der Zelle seid.“
„Warum liest du das denn erst jetzt vor?“, meckerte Strom-Tom.
„Woher sollte ich denn wissen, dass da noch was Wichtiges kommt?“
„Wir stehen hier schon viel zu lange rum“, schaltete Tante Hablieblieb sich ein. „Los, weiter!“
Keine fünfzig Kacheln später endete der Gang abrupt und völlig unerwartet. Für mich sogar zu unerwartet. Ich bemerkte die schüchtern glimmende Wand vor mir erst, als ich mit der Stirn dagegen knallte. Die moosartige Beschaffenheit der Platten dämpfte meinen Aufprall – dafür drückte mein erschrockener Aufschrei noch Sekunden später auf meine Trommelfelle.
„Tschuldigung, ich hab … hab ich nicht gesehen, die Wand“, stammelte ich, während ich aufstand und meine Hose abklopfte.
„Schon gut, mein Junge“, flüsterte Omi.
Tante Hablieblieb schaute sich um, besah die Decke und stellte fest: „Ein Sackgasse.“
Einen Augenblick lang sagte niemand etwas.
„Was machen wir jetzt?“, fragte ich leise.
„Da ist keine Tür oder so was?“, meldete sich Strom-Tom zu Wort.
„Nein, gar nichts.“
„Verdammt …“, murmelte Strom-Tom.
„Aber irgendeinen Zweck muss der Gang haben“, flüsterte ich. „Ich meine, man baut doch keinen so langen Gang, ohne dass er für etwas gut ist. Das ergibt doch keinen Sinn!“
„Ich weiß nicht, mein Junge“, flüsterte Omi. „Hier drinnen scheint nur sehr wenig einen Sinn zu ergeben.“
Tante Hablieblieb nickte. „Es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir müssen zurück zur Kreuzung.“
Die beiden wandten sich bereits zum Gehen, als ich den Knopf entdeckte.
„Guckt mal, dort unten!“, zischte ich.
Er war rot, untertassengroß und befand sich etwa auf Zehennagel-Höhe.
„Wofür der wohl ist?“, fragte Omi.
Ich kniete mich vor ihn. Das rote Plastik grinste mich herausfordernd an.
„Wir sollten uns sehr genau überlegen, ob wir ihn drücken“, flüsterte Tante Hablieblieb.
Sie hatte recht. Doch leider bohrte sich mein Zeigefinger da bereits genussvoll in die Wölbung, und der Knopf versank mit einem hellen Klicken in seiner Umrandung.
„Tschuldigung … ich konnte einfach nicht widerstehen.“
Einige Sekunden lang passierte überhaupt nichts. Angespannt starrten wir in das dunkle Loch, in dem der Knopf verschwunden war.
„Er hat wieder irgendwo draufgedrückt, richtig?“, fragte Strom-Tom mit einem Seufzen.
„Bei roten Knöpfen bin ich einfach machtlos“, flüsterte ich.
Ein Piepen ertönte. Es war nicht besonders laut, dafür aber umso durchdringender. Ein Brummen gesellte sich dazu und die rote Umrandung, in welcher der Knopf verschwunden war, rutschte nach unten und verschwand ihrerseits im Boden. Ich brauchte einige Sekunden, um zu erkennen, dass sich nicht die Umrandung bewegt hatte, sondern vielmehr die komplette Wand mit rasender Geschwindigkeit nach unten glitt. Ein erschrockener Blick zur Decke zeigte jedoch, dass sich diese keinen Zentimeter bewegt hatte. Abwechselnd Wände und Decke anstarrend, versuchte ich zu verstehen, was gerade vor sich ging.
„Das ist ein Aufzug!“, löste Tante Hablieblieb schließlich das Rätsel. „Wir sind in einem riesigen Aufzug!“
Die Wände rasten immer schneller an uns vorbei. Ich bekam ein komisches Gefühl im Magen und fragte mich, ob sich Strom-Tom übergeben hatte.
„Der ganze Gang ist ein einziger Fahrstuhl“, murmelte Omi. „Wer baut so was nur?“
„Und vor allem, wofür?“, flüsterte Tante Hablieblieb.
Ich legte meine Hand auf meinen Bauch und setzte mich auf die weichen, glatten Platten.
Da kommt etwas!
Die vorbeiziehenden Wände wurden immer dunkler, bis sie schließlich beinahe schwarz waren. Der lange Gang, der eigentlich ein Aufzug war, hielt mit einem Rucken an.
„Er hat angehalten“, flüsterte ich,
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