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Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
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obwohl es offensichtlich war, doch ich musste einfach etwas flüstern. Ich stutzte.
    Ich räusperte mich.
    Ich sagte zaghaft: „Hallo?“
    Kein Donnerhall fuhr auf uns herab, kein Dröhnen presste unsere Trommelfelle nach ihnen.
    „Die Akustik ist wieder normal“, sagte Tante Hablieblieb.
    In der Ferne erklang ein lautes Zischen, als habe jemand den Verschluss einer gut geschüttelten Flasche Selter aufgedreht. Angestrengt starrten wir den Gang hinunter. Obwohl weiterhin ein Glimmen von den Platten ausging, hatte sich die Sicht durch ihre dunkle Färbung doch stark verschlechtert. In etwa dreißig Metern Entfernung verschwand alles in grauem Nebel.
    „Was war das?“, fragte Omi.
    Ein Sprudeln ertönte. Ein Gurgeln gesellte sich dazu. Eine eiskalte Zitronenbrause, die in ein hohes Glas mit Strohhalm gegossen wird.
    „Ich hab Durst“, sagte ich.
    „Da kommt etwas“, sagte Tante Hablieblieb und trat einen Schritt zurück.
    Es war ein Rauschen. Ein helles, durchdringendes Rauschen.
    „Das ist Wasser!“, rief Omi.
    „Wo ist Wasser?“, fragte Strom-Tom, der es plötzlich mit der Angst zu tun bekam.
    Dann sahen wir es. Eine schienbeinhohe Miniwelle rollte heran, umspülte unsere Füße und klatschte hinter uns gegen die Fahrstuhlwand.
    „Wo ist Wasser?“, rief Strom-Tom noch einmal.
    „Keine Sorge“, sagte ich. „Das war nur eine ganz kleine Welle. Die ging mir nicht einmal bis zum –“
    „Es steigt!“, unterbrach Tante Hablieblieb meine Beruhigungsversuche.
    „Es steigt?!“, jaulte Strom-Tom in meinem Bauch.
    Ich spürte, wie meine Oberschenkel nass wurden und zog mein Handy aus der Hosentasche. „Ja, etwas … anscheinend …“
    „Wir müssen hier raus!“ Mit hektischen Blicken suchte Omi die Decke nach einem Ausgang ab. Aber dort war nichts. Keine Luke, keine Tür, noch nicht einmal ein Knopf.
    „Das ist nicht gut“, zeterte Strom-Tom. „Das ist überhaupt nicht gut!“
    „Überhaupt nicht gut!“, stimmte ihm Strom-Klaus zu.
    „Vielleicht auf der anderen Seite des Fahrstuhls“, sagte ich, während lauwarmes Wasser meinen Bauchnabel flutete. „Am anderen Ende muss es einen Ausgang geben.“
    „Das schaffen wir nicht.“ Tante Hablieblieb schüttelte den Kopf. „Das schaffen wir niemals …“
    „Das hört bestimmt gleich auf“, sagte ich, doch meine Stimme zitterte. Nasse Baumwolle umschlang meine Brust.
    „Egal, was passiert“, rief Strom-Tom, „halt den Mund geschlossen!“
    Ich wartete, bis das Wasser mein Kinn erreichte hatte, bevor ich in Panik ausbrach.
    „Ich … ich kann nicht schwimmen!“, schrie ich einige Male. Dann verschwand der Boden unter meinen Zehenspitzen. Ein kräftiger Schluck Wasser flutete meine Speise- und Luftröhre. Ich hustete und würgte, und strampelte wild mit Armen und Beinen, während ich versuchte, meine Nasenlöcher über Wasser zu halten.
    „Ganz ruhig, mein Junge!“, rief Omi, die jetzt neben mir trieb. „Ganz ruhig, du wirst nicht ertrinken!“
    Sie steckte ihre Hände unter meine Achseln und hielt mich über Wasser wie beim Babyschwimmen. Ihre Kraft erstaunte mich so sehr, dass ich für einen Moment sogar meine Panik vergaß. Allerdings nur so lange, bis der graue Nebel vor uns plötzlich schwarz wurde und Platte für Platte die Dunkelheit näher kam.
    „Wir werden alle sterben!“, schrie ich in die Schwärze um uns herum. Und dann gleich noch mal: „Wir werden alle sterben!“, weil sich unsere Situation trotz meines panischen Geschreis kein Stück verbessert hatte. Als ich mit meiner Stirn gegen die Decke stieß, war ich endgültig davon überzeugt: Niemand würde diesen Aufzug lebend verlassen. Ich hörte auf zu schreien und verfiel stattdessen in aufgeregte Schnappatmung. Etwa ein Dutzend schneller Atemzüge später sagte Tante Hablieblieb: „Ich glaube, es hat aufgehört.“
    Wir lauschten in die Finsternis. Kein Sprudeln mehr, kein Rauschen. Nur ein leises Schwappen und mein aufgeregtes Schnaufen.
    „Ja“, keuchte Omi. „Das Wasser steigt nicht mehr“
    „Strom-Tom“, hechelte ich zwischen zwei Atemzügen. „Wir brauchen Licht!“
    Ein Kitzeln durchfuhr meinen Körper, und warmes Licht tanzte über die Fahrstuhldecke. Unbeholfen rollte ich mein T-Shirt hoch. Der Lichtschein wurde stärker und färbte sich rötlich. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich mich um. Der Gang war auf einen zwanzig Zentimeter hohen Streifen zusammengeschrumpft. Der Rest war Wasser. Ich versuchte, nach unten zu schauen, doch mir lief jedes Mal

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