Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
Dad.
» Ich dachte, es wäre Sierra Madre.«
» Du denkst an den Film.«
» Ach ja, jetzt fällt’s mir wieder ein. Mit Humphrey Bogart und Katherine Hepburn.«
» Das war African Queen .«
» Ohhh«, sagte Mom, die jetzt verstand, wie es zu dem Durcheinander kommen konnte.
Mom ließ mich los. Dad kam herüber, wischte mir die Haare aus der Stirn und gab mir einen Wangenkuss. Sein Bart kratzte auf meiner Haut. Der tröstliche Duft von Old Spice lag in der Luft.
» Alles okay mit dir?«, fragte er.
Ich nickte. Er sah mich skeptisch an.
Beide sahen plötzlich so alt aus. Aber das war einfach so, oder? Wenn man ein Kind nur ein paar Monate nicht gesehen hat, wundert man sich, wie groß es geworden ist. Wenn man einen alten Menschen ein paar Monate nicht gesehen hat, wundert man sich, wie sehr er gealtert ist. Das ging mir fast jedes Mal so. Aber wann hatten meine doch so unverwüstlichen Eltern diese Grenze überschritten? Mom zitterte, weil sie Parkinson hatte. Es war inzwischen ziemlich schlimm geworden. Ihr Verstand, der schon immer einen Hang ins Exzentrische gehabt hatte, rutschte inzwischen immer häufiger in Bereiche ab, wo man sich doch allmählich Sorgen machen musste. Dad war bei relativ guter Gesundheit, hatte allerdings ein paar kleinere Herzprobleme– aber die beiden sahen so verdammt alt aus.
» Ihre Mutter und Ihren Vater unten in Miami …«
Meine Brust zog sich ruckartig zusammen. Wieder hatte ich Atemprobleme.
Dad sagte: » Myron?«
» Schon okay.«
Jetzt schob sich die Schwester zwischen ihnen hindurch ans Bett. Meine Eltern traten zur Seite. Die Schwester steckte mir ein Thermometer in den Mund und fühlte meinen Puls. » Die Besuchszeit ist vorbei«, sagte sie. » Sie müssen jetzt gehen.«
Ich wollte nicht, dass sie gingen. Ich wollte nicht allein sein. Entsetzen packte mich, worauf ich große Scham empfand. Als die Schwester mir das Thermometer aus dem Mund nahm, rang ich mir ein Lächeln ab und sagte etwas zu fröhlich: » Geht nach Hause und schlaft aus, okay? Wir sehen uns dann morgen früh wieder.«
Ich sah meinem Vater in die Augen. Er war immer noch skeptisch. Er flüsterte Esperanza etwas zu. Sie nickte und führte meine Mutter aus dem Zimmer. Die beiden verschwanden. Auch die Schwester ging, drehte sich dann in der Tür aber noch einmal um.
» Sir«, sagte sie zu meinem Vater. » Sie müssen auch gehen.«
» Ich möchte eine Minute mit meinem Sohn allein sein.«
Sie zögerte. Dann: » Ich geb Ihnen zwei Minuten.«
Wir waren allein.
» Was ist passiert?«, fragte Dad.
» Ich weiß es nicht«, sagte ich.
Er nickte. Er zog den Stuhl ans Bett und hielt meine Hand.
» Du hast nicht geglaubt, dass ich in Afrika bin?«
» Nein.«
» Und Mom?«
» Ich habe ihr erzählt, du hättest angerufen, als sie unterwegs war.«
» Und das hat sie dir abgenommen?«
Er zuckte die Achseln. » Ich habe sie vorher noch nie belogen, also ja, das hat sie mir abgenommen.«
Ich sagte nichts. Die Schwester kam zurück. » Bitte gehen Sie jetzt.«
» Nein«, sagte mein Vater.
» Bitte, sonst muss ich den Sicherheitsdienst rufen.«
Ich spürte, wie die Panik in meiner Brust aufstieg. » Schon okay, Dad. Mir geht’s gut. Fahr nach Haus, und ruh dich ein bisschen aus.«
Er sah mich einen Moment lang an, dann wandte er sich an die Schwester. » Wie heißen Sie, meine Liebe?«
» Regina.«
» Und wie weiter?«
» Regina Monte.«
» Ich heiße Al, Regina. Al Bolitar. Haben Sie Kinder?«
» Zwei Töchter.«
» Das ist mein Sohn, Regina. Wenn Sie wollen, können Sie den Sicherheitsdienst rufen. Aber ich lasse meinen Sohn nicht allein.«
Ich wollte protestieren, tat es dann aber doch nicht. Die Schwester drehte sich um und ging. Sie rief den Sicherheitsdienst nicht. Mein Vater blieb die ganze Nacht auf dem Stuhl neben meinem Bett sitzen. Er schenkte mir Wasser nach und zog meine Decke zurecht. Als ich im Schlaf schrie, beruhigte er mich, streichelte mir die Stirn und sagte mir, dass alles wieder gut werden würde– und ein paar Sekunden lang glaubte ich ihm sogar.
24
Am nächsten Morgen rief Win gleich als Erstes an.
» Geh zur Arbeit«, sagte er. » Stell keine Fragen.«
Dann legte er auf. Manchmal war Win einfach zum Kotzen.
Mein Vater ging kurz zu einer Bagel-Bäckerei gegenüber, weil das Krankenhaus-Frühstück an etwas erinnerte, mit dem einen die Affen im Zoo bewarfen. Während er unterwegs war, kam der Arzt ins Zimmer und bescheinigte mir, dass ich gesund und fit sei.
Weitere Kostenlose Bücher