Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
noch?«
» An nichts.«
» An gar nichts von dem, was zwischen dem Zeitpunkt, als auf dich geschossen wurde, und jetzt passiert ist?«
» Wo ist Terese?«
» Das hab ich dir doch schon gesagt. Ich weiß es nicht.«
» Das ist doch unlogisch. Es kann doch überhaupt nicht sein, dass du das nicht weißt.«
» Das ist eine lange Geschichte.«
» Wie wär’s, wenn du sie mir erzählst?«
Esperanza sah mich mit ihren grünen Augen an. Das, was ich darin sah, gefiel mir ganz und gar nicht.
Ich versuchte, mich aufzusetzen. » Wie lange bin ich bewusstlos gewesen?«
» Auch das weiß ich nicht.«
» Dann sag ich’s nochmal. Es kann doch nicht sein, dass du das nicht weißt.«
» Also mal ganz von vorne: Du bist nicht in London.«
Ich verstummte. Dann sah ich mich im Krankenzimmer um, als läge darin die Antwort. Das tat sie auch. Auf meiner Decke befand sich ein Logo, und darunter stand: NEW YORK– PRESBYTERIAN MEDICAL CENTER.
Das konnte nicht sein.
» Ich bin in Manhattan?«
» Ja.«
» Die haben mich zurückgeflogen?«
Sie sagte nichts.
» Esperanza?«
» Ich weiß es nicht.«
» Also, seit wann bin ich hier im Krankenhaus?«
» Wahrscheinlich seit ein paar Stunden, ich kann es aber nicht genau sagen.«
» Das ist vollkommen unlogisch.«
» Ich weiß auch nicht so richtig, was los ist, okay? Ich wurde vor zwei Stunden angerufen, und da hat man mir gesagt, dass du hier bist.«
Ich war ziemlich verwirrt– und ihre Erklärungen machten es nicht besser. » Vor zwei Stunden?«
» Ja.«
» Und vorher?«
» Vor diesem Anruf«, sagte Esperanza, » hatten wir keine Ahnung, wo du warst.«
» Wenn du › wir‹ sagst…«
» Ich, Win, deine Eltern…«
» Meine Eltern?«
» Keine Sorge. Wir haben sie belogen. Wir haben ihnen erzählt, dass du in einer Gegend in Afrika bist, wo es kaum Telefone gibt und das Handynetz unglaublich schlecht ausgebaut ist.«
» Ihr habt alle nicht gewusst, wo ich bin?«
» Richtig.«
» Und wie lange?«, fragte ich.
Sie sah mich nur an.
» Wie lange war das, Esperanza?«
» Sechzehn Tage.«
Ich legte mich zurück. Sechzehn Tage. Ich war sechzehn Tage lang verschwunden gewesen. Und wenn ich versuchte, mich an die letzten Tage zu erinnern, bekam ich Herzrasen und geriet in Panik.
» Lassen Sie es einfach gut sein …«
» Myron?«
» Ich erinnere mich noch daran, dass ich festgenommen wurde.«
» Okay.«
» Willst du mir erzählen, dass das sechzehn Tage her ist?«
» Ja.«
» Habt ihr bei der englischen Polizei nachgefragt?«
» Die wussten auch nicht, wo du bist.«
Ich hatte Tausende von Fragen, aber die Tür ging auf, und wir unterbrachen unser Gespräch. Esperanza warf mir einen warnenden Blick zu. Ich schwieg. Eine Krankenschwester kam herein und sagte: » Na wunderbar, Sie sind wach.«
Bevor die Tür wieder zufallen konnte, wurde sie von jemand anderem aufgestoßen.
Mein Dad.
Fast schon eine Welle der Erleichterung durchflutete mich, als ich diesen zugegebenermaßen alten Mann sah. Er war außer Atem, zweifellos war er gerannt, um so schnell wie möglich bei seinem Sohn zu sein. Mom kam kurz nach ihm ins Zimmer. Meine Mutter schaffte es schon normalerweise, sich auf mich zu stürzen, als wäre ich gerade aus einer langen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, selbst wenn ich nur auf einen normalen Routinebesuch vorbeikam. Und so verhielt sie sich auch dieses Mal, wobei sie die Schwester zur Seite stieß. Früher habe ich das immer mit einem Augenrollen quittiert, obwohl ich es insgeheim toll fand. Dieses Mal rollte ich nicht die Augen.
» Mir geht’s gut, Mom. Wirklich.«
Mein Vater hielt sich einen Moment lang zurück, wie es seine Art war. Seine Augen waren feucht und gerötet. Ich sah ihm ins Gesicht. Er wusste Bescheid. Er hatte Win und Esperanza die Afrika-Geschichte ohne Telefonnetz nicht abgekauft. Wahrscheinlich hatte er geholfen, sie Mutter unterzujubeln. Aber er wusste, dass etwas faul war.
» Du bist so furchtbar dünn«, sagte Mom. » Haben Sie dir da nichts zu essen gegeben?«
» Lass ihn zufrieden«, sagte Dad. » Er sieht prima aus.«
» Er sieht nicht prima aus. Er besteht nur noch aus Haut und Knochen. Und blass ist er. Warum liegst du im Krankenhaus?«
» Das hab ich dir doch erzählt«, sagte Dad. » Hast du mir wieder nicht zugehört, Ellen? Er hatte eine Lebensmittelvergiftung. Er wird schon wieder, das ist nur so eine Art Ruhr.«
» Was hast du da überhaupt in Sierra Madre gemacht?«
» Sierra Leone«, korrigierte
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