Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)
heute die Erfolgsstory Europas in den Köpfen vieler Menschen als austauschbar angesehen wird. Als ich nach einem meiner Auftritte in der deutschen Provinz mit Wolfgang, dem örtlichen Kulturbeauftragten, einem freundlichen Herrn mit Rudolf-Scharping-Gedächtnis-Bart, ein Pils trank, wurden wir Zeugen eines heute typischen Gesprächs an der Bar. «Ich sag dir, wenn wir den Griechen noch mehr Geld hinterherschmeißen, gehen wir auch noch pleite», brummte ein Gast, der in einer Zeitung blätterte. «Auf jeden Fall», stimmte ein anderer zu und nippte an seinem Glas.
Die Uhr an der Wand tickte, als wollte sie in den Gesprächspausen die Spannung verstärken. «Was hat uns die EU überhaupt gebracht?», fragte der Erste wieder, ohne von seiner Zeitung aufzublicken, «nichts als Ärger.» Der andere Gast sah über sein Glas hinweg ins Leere. Mein Rudolf-Scharping-Double begann, etwas nervös auf der Eckbank rumzurutschen und rief dann rüber: «Die offenen Grenzen.» Der Mann mit der Zeitung schaute rüber. Ich wusste nicht, ob sie sich kannten, wahrscheinlich schon, alle, die ich an dem Tag im Taxi, im Hotel Garni und in der Kulturscheune kennengelernt hatte, waren entweder miteinander verwandt oder auf dieselbe Schule gegangen.
Wie dem auch sei, der Typ nahm einen Schluck Bier und sagte dann: «Die offenen Grenzen. Ja, gut. Aber abgesehen von den offenen Grenzen?» – «Den stärksten Binnenmarkt der Welt.» Der andere tat wieder so, als läse er und sagte dabei: «Is’ klar, aber sonst?» – «Die gemeinsame Währung.» Jetzt nahm der Mann an der Bar seine Brille ab und fixierte uns: «Also, jetzt mal abgesehen von den offenen Grenzen, dem stärksten Binnenmarkt der Welt und dem Euro, hat uns die EU irgendwas …» – «Den längsten Frieden, den es bei uns jemals gab!»
Der Europäer an meinem Tisch hatte ihn unterbrochen, aber der andere gab nicht auf und stöhnte: «Also gut. Die EU hat uns die offenen Grenzen gebracht, das versteht sich ja von selbst, den Binnenmarkt, den Euro und den Frieden.» Die Uhr tickte. «Aber sonst?» Er wartete nicht mehr auf eine Antwort: «Nichts als Ärger!»
Ich fühlte mich wie in der Szene von Monty Pythons Film
Das Leben des Brian
, in der der Anführer der judäischen Befreiungsfront – oder war es die Befreiungsfront Judäa? Ich hab es vergessen – seine Mitglieder gegen die Besatzungsmacht der Römer entflammen will mit der Frage: «Was haben uns die Römer gebracht?» Seinen Mitstreitern fällt dazu so einiges ein, sehr zum Missfallen des Anführers, versteht sich. Die Liste geht von den guten Straßen, den Wasserwerken, der Sicherheit in der Öffentlichkeit bis hin zum Wein, den die Römer mitgebracht haben. Aber sonst? Nichts als Ärger!
Silvesterraketen auf Steuerfahnder
Momentan werden die eben genannten Errungenschaften des gemeinsamen Lebens in Europa von den Problemen der Griechen – und nicht nur der Griechen, sondern auch die der Italiener und Spanier – überschattet. Bei der Einschätzung ihrer Probleme wird stets ihre Wirtschaftskraft gemessen. Aber wie misst man etwas so Komplexes wie die Wirtschaft eines ganzen Landes? Indem man die Summe aller Dinge und Dienstleistungen, die in einem Staat innerhalb eines Jahres verkauft werden, zusammenzählt. Woher weiß man, was verkauft wurde? Anhand der Rechnungen, die für diese Waren und Dienstleistungen ausgestellt wurden. Der Staat kann aber nur die Rechnungen zählen, die versteuert wurden. Alles, was ohne Rechnung läuft, wird nicht erfasst. Und das kann eine ganze Menge sein: die Arbeit von Handwerkern, Putzleuten und Taxifahrern, Bestechungsgelder für Beamte bis hin zur Schwarzarbeit in der Gastronomie. Auf ein Viertel der Gesamtwirtschaft wird in Griechenland diese sogenannte Schattenwirtschaft geschätzt.
Inzwischen besuchen griechische Steuerfahnder Betriebe, um die Leute dazu zu bewegen, endlich Quittungen für ihre Leistungen auszustellen. Manches Mal erlebten sie dabei ihr blaues Wunder. Als sich auf der vor Athen liegenden Insel Hydra ein Restaurantbesitzer auch nach mehrmaliger Aufforderung weigerte, seinen Gästen Quittungen auszustellen, platzte den Fahndern der Kragen, und sie nahmen den Mann fest. Das war aber gar nicht so einfach, denn die Steuerfahnder wurden – wie überall auf der Welt – als unangenehme Gäste angesehen. Dies im Zusammenspiel mit dem Temperament der Griechen führte dazu, dass sich der Festgenommene lauthals beschwerte («Ihr wollt uns fertigmachen»).
Noch auf
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