Von nun an fuer immer
Brust, an die sie sich immer so gern gekuschelt hatte, und dann natürlich seine Lippen, die sie so viele Male geküsst hatte. Wie gern hätte sie ihn mit einem Kuss geweckt!
Nein, es war nicht gut für sie, hier zu sitzen!
Schnell stand sie auf und ging wieder hinaus. Sie beschloss, sich im Schwesternzimmer noch einen Kaffee zu holen. Natürlich musste gerade in diesem Moment Abby vorbeikommen.
„Brauchen Sie Hilfe?“, bot Lorna an, doch Abby schüttelte nur wortlos den Kopf.
„Nein, ich will Sie nicht bei Ihrer Pause stören.“
„Tolle Pause“, erwiderte Lorna und verdrehte mit gespielter Verzweiflung die Augen.
Lavinia kicherte. „Wissen Sie, Abby ist schon eine gute Ärztin“, bemerkte sie. „Sie trifft nur manchmal nicht den richtigen Ton.“
„Ich weiß, dass sie sehr kompetent ist“, erwiderte Lorna. „Ich bin schließlich der beste Beweis dafür. Sie hat mir nach meinem Unfall das Leben gerettet.“
„Vermutlich bedauert sie das inzwischen.“
Es war das erste Mal, dass Lorna sich fühlte, als würde sie dazugehören. Zum allerersten Mal wurde sie in eine kollegiale Plauderei, ja sogar in einen Scherz mit einbezogen, und sie spürte, wie ein warmes Gefühl von Freude sie durchströmte.
„So, wir sollten weitermachen“, erklärte Lavinia und stellte ihre Kaffeetasse ab. „Bevor die Tagschicht anfängt, muss noch eine Menge aufgeräumt werden. Es war wirklich ein höllisches Wochenende. Aber jetzt ist es ja fast vorbei.“ Schnell klopfte sie auf Holz, doch es war zu spät.
Das Leitstellen-Telefon klingelte, und noch während der Disponent ihnen mitteilte, dass ein pädiatrischer Notfall auf dem Weg zu ihnen wäre, fuhr bereits der Rettungswagen vor. Sekunden später rannte ein Rettungsassistent mit einem leblosen, blau angelaufenen Bündel auf dem Arm herein. Lorna spürte, wie ein lähmendes Entsetzen sie ergriff.
„Wo ist Abby?“
„Beschäftigt. Mit dem Aneurysma von vorhin“, erklärte May ruhig. Lornas Panik wuchs, als der Rettungsassistent das Baby vor ihr auf den Behandlungstisch legte. Mechanisch nahm Lorna das Kind und hielt es fest, während May die Herzdruckmassage übernahm.
„Die Kinderärzte sind unterwegs“, erklärte May. „Aber es dauert einen Moment. Auf der ITS gab es einen Notfall. Ich habe bereits den Bereitschaftsdienst und auch den Anästhesisten alarmiert.“
„Holen Sie James!“ Lornas Stimme zitterte.
„Er ist gerade heimgefahren.“
„Dann rufen Sie ihn zurück!“
Es waren ihr schon öfter Patienten gestorben. Natürlich. Als Landärztin gehörte das zum Alltag. Auch mit todkranken Babys und Kleinkindern hatte sie schon zu tun gehabt, doch solche Fälle waren zum Glück so selten, dass sie weit davon entfernt war, mit dieser Situation routiniert umgehen zu können. Im Augenblick war Lorna einfach nur gelähmt vor Angst und fragte sich, wie um alles in der Welt irgendjemand freiwillig diesen Job machen konnte, bei dem der Tod ein ständiger Begleiter war.
Unterdessen hörte May nicht auf, das kleine Herz des Babys zu massieren, und Lavinia bemühte sich, einen Zugang zu legen. Lorna wusste, dass es nun ihre Aufgabe war, das Kind zu intubieren. Meist kamen die Patienten bereits intubiert in der Notaufnahme an, doch in diesem Fall war es den Kollegen vom Rettungsdienst nicht gelungen, den Tubus zu legen. Stattdessen hatten sie das Baby mit einem Beatmungsbeutel beatmet. Wenn sie das Baby retten wollten, war es höchste Zeit für die Intubation. Wo blieb denn nur der Anästhesist? Nervös sah Lorna sich um. Nichts. Sie würde es selbst versuchen müssen.
Vorsichtig führte sie das Laryngoskop in den Rachen des Kindes ein und suchte sich behutsam den Weg bis zum Kehldeckel. Ihre Hände zitterten nur leicht, als sie den Schlauch durch die enge Stelle an den Stimmbändern vorbeiführte. Geschafft! Sie konnte es kaum glauben, dass es ihr auf Anhieb gelungen war. Schnell schloss sie das Beatmungsgerät an. Da Lavinias Versuch, einen Zugang zu legen, bislang erfolglos geblieben war, nahm Lorna sich den anderen, mit Babyspeck gepolsterten Arm vor. Obwohl ihre Hände furchtbar zitterten, traf sie die Vene sofort. Vor Erleichterung hätte sie fast geweint.
„Gute Arbeit“, lobte May und half Lorna dann, die richtige Medikamentendosis auszurechnen.
„Aus dem Ohr läuft Blut …“ Lorna überprüfte die Pupillen, sah, dass sie nicht gleichmäßig waren, und schloss für ein Sekunde ihre Augen. Sie durfte jetzt keine voreiligen Schlüsse ziehen,
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