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Von nun an fuer immer

Von nun an fuer immer

Titel: Von nun an fuer immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Marinelli
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und so untersuchte sie das Kind – es war ein kleiner Junge – gründlich von Kopf bis Fuß und machte sich sorgfältig Notizen. Das linke Bein war geschwollen und schien verkürzt zu sein. Vermutlich ein Bruch.
    Sie hörte eine schluchzende Frau im Wartezimmer. Am liebsten hätte sie den misshandelten kleinen Jungen auf den Arm genommen und fest an sich gedrückt. Aber natürlich ging das nicht.
    „Er muss geröntgt werden.“ Die Radiologen standen schon bereit, und inzwischen war Gott sei Dank auch der Kinderarzt da. James stürzte ebenfalls gerade herein.
    Sie taten alles, um das Baby zu retten, doch jeder der beteiligten Mediziner wusste, dass der Kleine es nicht schaffen würde. Fünfzehn Minuten später war der kleine Junge tot. Die Polizei war bereits alarmiert worden und befragte gerade die Eltern.
    „Möchtest du mit reinkommen, wenn ich es den Eltern sage?“, erkundigte sich James. Es war eine unsinnige Frage, denn wer würde schon gern bei so einem Gespräch dabei sein? Aber Lorna wusste, dass sie sich an solche Gespräche gewöhnen musste, wenn sie längerfristig in der Notaufnahme arbeiten wollte. Es wäre also vernünftig gewesen, die Tränen herunterzuschlucken und die Gelegenheit zu nutzen, von einem erfahrenen Kollegen etwas lernen zu können. Aber sie konnte es nicht.
    „Lieber nicht.“ Unglücklich wich sie seinem Blick aus.
    Sie ist schon eine bemerkenswerte Frau, überlegte James. May hatte ihm gesagt, dass Lorna großartige Arbeit bei der Versorgung des Jungen geleistet hatte. Er würde es ihr ersparen, mit den Eltern reden zu müssen.
    „Ich mache den Kleinen fertig, damit die Eltern ihn noch mal sehen können“, erklärte May, der Tränen die Wangen hinunterliefen. Sie hielt das Baby in ihren Armen. Der Zugang und der Tubus durften nicht entfernt werden, da es sich um einen Fall für den Rechtsmediziner handelte.
    „Dürfen sie ihn denn überhaupt noch einmal sehen?“ Lorna streichelte die inzwischen weiße Wange des Jungen. „Ich meine …“
    „Das Gericht wird entscheiden, wer die Verantwortung hierfür trägt.“ May drückte das Kind an sich. „Das ist nicht unser Job. Wir behandeln sie mit Höflichkeit und Respekt, auch wenn es uns innerlich umbringt.“
    „Ist das denn auch bei Ihnen noch so? Bringt es Sie innerlich um? Gewöhnt man sich im Laufe der Jahre nicht an die Grausamkeiten des Lebens?“
    „Nein!“ May schüttelte vehement den Kopf. „Niemals! Wenn ich mich an so was jemals gewöhne, kündige ich sofort.“
    Ja, auch Babys starben manchmal. Und obwohl das in jeder Notaufnahme passierte, war die Stimmung unter den Kollegen an diesem Morgen anders als sonst. Jeder schien sich zu bemühen, ein wenig sanfter und netter zu sein. Als Lorna in quälender Langsamkeit ihre Notizen machte, gab es deshalb keinen einzigen spöttischen Kommentar.
    Sie hielt sich tapfer und lachte sogar über einen Witz des Portiers, doch ihr Gesicht war blass, und ihre Augen lagen in dunklen Höhlen. James wusste, dass sie große Mühe hatte, sich zusammenzureißen. Deshalb konnte er den Gedanken, sie jetzt allein nach Hause fahren zu lassen, nicht ertragen. Bestimmt wäre es besser für sie, noch eine Weile hierzubleiben und gemeinsam mit den Kollegen die Tragödie zu verarbeiten.
    „Geh noch nicht!“
    „Ich bin müde.“ Sie hatte sich bereits ihre Jacke angezogen.
    „Du hast noch nicht einmal geweint“, sagte er. „Dabei weinst du sonst bei jeder Gelegenheit.“
    „Ich fürchte, ich werde nicht damit aufhören können, wenn ich einmal anfange.“
    „Doch“, versprach er, „das wirst du. Du musst es verarbeiten.“
    „Wozu?“, schnauzte sie ihn an. „Das bringt ihn auch nicht zurück.“ Sie wollte zum Ausgang rennen, doch James griff nach ihrem Arm und hielt sie zurück.
    „Sprich mit mir, Lorna!“
    „Nein! Ich bin müde und will schlafen gehen. Ich brauche keine psychologische Betreuung von dir!“
    „Stimmt.“ Er ließ sie los, denn er hatte kein Recht, sie aufzuhalten. Dennoch war es schwer, sich lediglich als besorgter Kollege zu sehen. Und es machte ihn fertig, sich vorzustellen, wie sie ganz allein in ihrem Bett lag und sich die Augen ausweinte. „Aber du musst …“
    „Ich muss nach Hause fahren“, unterbrach sie ihn. „Weg von hier. Ich habe es satt, dass mich hier jeder für nutzlos hält. Und ich habe es satt, dass alle mir ständig sagen, ich sei zu langsam und zu vorsichtig.“
    „Du machst alles großartig.“
    „Ich bitte dich!“ Lorna

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