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von Schirach

von Schirach

Titel: von Schirach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schuld
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seine behaarten Hände. Sie hatte aufgelegt.
    Ihr neuer Freund, Thomas, lebte auch
am Bahnhof. Er war 24, er passte auf sie auf. Sie tranken viel, die harten
Sachen, die wärmten und alles vergessen ließen. Als der Mann auf sie zukam,
dachte sie, es sei ein Freier. Sie war keine Prostituierte. Sie wurde wütend,
wenn Männer sie fragten, was es koste. Einmal hatte sie einem ins Gesicht
gespuckt.
    Der alte Mann fragte, ob sie
mitkomme, er habe eine warme Wohnung, er wolle keinen Sex. Er wolle an
Weihnachten nur nicht alleine sein. Er sah ordentlich aus, vielleicht 60 oder
65, dicker Mantel, geputzte Schuhe. Sie sah immer zuerst auf die Schuhe. Sie
fror.
    »Nur wenn mein Freund mitkommen
kann«, sagte sie.
    »Natürlich«, sagte der Mann. Es sei
ihm sogar lieber.
    Später saßen sie bei dem Mann in der
Küche. Es gab Kaffee und Kuchen. Der Mann fragte, ob sie baden wolle, das täte
ihr gut. Sie war unsicher, aber Thomas war da. Es kann nichts passieren, dachte
sie. Die Tür zum Badezimmer hatte keinen Schlüssel.
    Sie lag in der Badewanne. Es war
warm, das Badeöl roch nach Birken und Lavendel. Sie sah ihn erst nicht. Er
hatte die Tür hinter sich geschlossen. Seine Hose hatte er heruntergelassen,
er onanierte. Es sei doch nicht schlimm, sagte er und lächelte unsicher. Aus
dem anderen Zimmer hörte sie den Fernseher. Sie schrie. Thomas stieß die Tür
auf, die Klinke traf den Mann in die Nieren.
    Er verlor das Gleichgewicht und fiel
über die Kante der Badewanne. Er lag im Wasser, bei ihr, sein Kopf auf ihrem
Bauch. Sie strampelte, sie zog die Knie an, sie wollte raus, weg von dem Mann.
Sie traf ihn an der Nase, das Blut lief ins Wasser. Thomas packte ihn an den
Haaren, er hielt ihn unter Wasser. Nina schrie immer noch. Sie stand in der
Wanne, nackt, sie half Thomas und drückte auf den Nacken des Mannes. Sie
dachte, es dauert lange. Dann bewegte er sich nicht mehr. Sie sah die Haare auf
seinem Hintern und schlug mit der Faust auf seinen Rücken.
    »Das Schwein«, sagte Thomas.
    »Das Schwein«, sagte Nina.
    Dann sagten sie nichts mehr. Sie
gingen in die Küche und versuchten nachzudenken. Nina hatte sich ein Handtuch
umgewickelt, sie rauchten. Sie wussten nicht, was sie tun sollten.
    Thomas musste ihre Sachen aus dem
Badezimmer holen. Der Körper des Mannes war zu Boden gerutscht, er verklemmte
die Tür.
    »Weißt du, dass sie die Tür mit
einem Schraubenzieher aus den Angeln hebeln müssen?«, sagte er in der Küche
und gab ihr ihre Sachen.
    »Nein, wusste ich nicht.«
    »Sie werden ihn sonst nicht rauskriegen.«
    »Werden sie das machen?«
    »Anders geht's nicht.«
    »Ist er tot?«
    »Ich glaube schon«, sagte er. »Du
musst noch mal rein. Mein Portemonnaie und der Personalausweis sind noch drin.«
     
    Er durchsuchte die Wohnung und fand
8500 DM im Schreibtisch. »Für Tante Margret« stand auf dem Umschlag. Sie
wischten ihre Fingerabdrücke ab. Dann verließen sie die Wohnung. Sie waren zu
langsam, die Nachbarin, eine ältere Dame mit starker Brille, sah sie auf dem
Laubengang.
    Sie fuhren mit der S-Bahn zurück zum
Bahnhof. Später saßen sie in einem Imbiss.
    »Es war schrecklich«, sagte Nina.
    »Der Idiot«, sagte Thomas.
    »Ich liebe dich«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Was ist? Liebst du mich auch?«
    »Hat nur er es sich gemacht?«,
fragte Thomas und sah sie direkt an.
    »Ja, was denkst du?« Plötzlich hatte
sie Angst.
    »Hast du auch was gemacht?«
    »Nein, ich hab geschrien. Dieses
alte Schwein«, sagte sie.
    »Gar nichts?«
    »Nein, gar nichts.«
    »Es wird schwer werden«, sagte er
nach einer Pause.
     
    Eine Woche später sahen sie das
Plakat an einer Säule im Bahnhof. Der Mann war tot. Ein Polizist kannte die
beiden aus dem Bahnhofsrevier. Er meinte, die Beschreibung der Nachbarin könnte
auf sie passen. Sie wurden vernommen. Die alte Dame war sich nicht sicher. Ihre
Kleidung wurde abgeklebt, die Beamten verglichen sie mit Fasern aus der Wohnung
des Toten. Das Ergebnis war nicht eindeutig. Der Mann war als Freier bekannt,
er hatte zwei Vorstrafen wegen sexueller Nötigung und Verkehr mit
Minderjährigen. Sie wurden entlassen. Der Fall wurde nicht aufgeklärt.
     
    Sie hatten alles richtig gemacht.
Neunzehn Jahre lang hatten sie alles richtig gemacht. Von dem Geld des Toten
hatten sie eine Wohnung gemietet, später waren sie in ein Reihenhaus gezogen.
Sie hatten aufgehört zu trinken. Nina war Verkäuferin in einem Supermarkt,
Thomas arbeitete bei einem Grossisten als Lagerverwalter. Sie

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