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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Rücksichtslosigkeiten« stimmte. Starke Sachen liefen dabei freilich mit unter, aber nur desto besser; wo Langeweile durch ein Menschenalter hin grausam geherrscht hatte, waren Zynismen das erlösende Wort. Ich habe diesen Bacchanalen, die nach ihrem materiellen und geistigen Gehalt halb Bauernhochzeit, halb Kunst- und Literaturkneipe waren, manch liebes Mal beigewohnt und denke mit diabolischem Vergnügen daran zurück. Schauplatz war ein altes interessantes Haus in der Krausenstraße, dicht an der Mauerstraße; Wirt ein Bäcker, unten Laden und Backraum, darüber ein erster Stock, den Heinrich Smidt bewohnte. Dann kam ein hohes Dach mit einer unter einem Holzvorbau steckenden Winde, daran die feisten Mehlsäcke in die Höhe gewunden wurden. Mitunter hing solch ein Mehlsack schräg neben dem Fenster des Zimmers, drin wir unsere Feste feierten, und konnte halb als Symbol, halb als Verspottung unseres Tuns gelten. Denn wir standen recht eigentlich im Zeichen des Mehlsacks: ungeheuere Schüsseln voll Makkaroni – Hesekiels Lieblingsspeise – erdrückten fast die Tafeln. Indessen siegreich über alles blieben doch die zwei Punschbowlen, die sich untereinander ablösten. Alles lachte, strahlte. Denn Hesekiel hatte gerade das Wort, und mit jenen Redederbheiten, auf die er sich wie selten einer verstand, ging er nun vor, nicht etwa um politische oder literarische Feinde abzuschlachten, das hätten andere auch gekonnt, sondern um seine Schwadronshiebe gegen die Tunnel-Freunde, gegen den »aufgesteiften Kugler«, gegen den »überschätzten und politisch zweideutigen Scherenberg«, gegen den »großmäuligen Widmann und den noch großmäuligeren Orelli«, ganz zuletzt aber, wenn er mit dem Tunnel fertig war, seine Hauptkeulenschläge gegen seine Kollegen von der Kreuzzeitung zu führen, von denen ihm der eine zu ledern, der andere zu leisetretrig, ein dritter zu fromm und ein vierter zu schustrig war. Ich hörte beglückt zu und stieß mit ihm an, wobei sich jeder denken konnte, was er wollte.
    Was war nun aber Heinrich Smidt als Schriftsteller? Hier muß ich schließlich doch Besseres von ihm sagen, als ich bis dahin konnte. So langweilig und unbedeutend er war, er war doch ein Talent, beinah ein großes. Natürlich auf seine Art, alles in allem ein wundervoller Fadenspinner. Zwischen Unbedeutendheit und altweiberhafter, rein äußerlicher Erzählergabe bestehen von alters her geheimnisvolle Zusammenhänge. Wer bloß am Rocken sitzt und den Faden näßt, ist als Mensch allemal langweilig; andererseits, wer mehr auf der Pfanne hat, läßt sich auf solch bloßes Fadenspinnen gar nicht ein. Heinrich Smidts Dramen und Gedichte sind weit unter Durchschnitt, aber wenn er sich seine Blätter zurechtschob und nun seine Feder in zierlicher Handschrift darüberhin gleiten ließ, so gab das gelegentlich doch unterhaltliche Dinge, deren man sich freuen konnte. Beachtung, ja freundlichste Zustimmung haben unter anderen seine Devrient-Novellen gefunden; aber diese waren weitaus nicht sein Eigentlichstes und Bestes, denn über Devrient zu schreiben, dazu war er schon deshalb nicht geeignet, weil ihm nichts so sehr fehlte wie das Devrientsche. Sein in bestimmter Richtung großes Talent zeigte sich, wenn er irgendeine Hansische Chronik unter Händen gehabt hatte, denn, in Wiedererzählung dessen, was er dem Buch entnommen, war er auf seiner Höhe. So hab' ich ihn mal die Erstürmung von Bergen durch die Lübischen vorlesen hören und war ganz bewältigt von der lebendig gestalteten Szene. Natürlich war die Sache, wie jeder historische Hergang, zu dessen Darstellung man schreitet, irgendeiner Überlieferung entnommen, aber es war doch in
seine
Sprache transponiert, was immerhin etwas bedeutet, und jedenfalls verbleibt ihm das Verdienst, gerade
den
Stoff und keinen anderen gewählt zu haben. Das Wort Spielhagens: »Finden, nicht erfinden« enthält eine nicht genug zu beherzigende Wahrheit; in der Erzählungskunst bedeutet es beinah alles.
    Gewiß, Heinrich Smidt war kein großer Schriftsteller, kaum ein Schriftsteller überhaupt; aber er war, ich muß das Wort noch einmal wiederholen, ein virtuoser »Fadenspinner«, und als solcher hat er vielen Tausenden viele frohe Stunden verschafft.
    Als, kurz vor Weichnachten 1853, jedes der Kinder im Kuglerschen Hause seinen Weihnachtszettel zu schreiben hatte, schrieb der jüngere Sohn, Hans Kugler, auf seinen Wunschzettel: »Wünsche mir ein Buch von Heinrich Smidt«, und des weiteren gefragt:

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