Von Zwanzig bis Dreißig
es lag, aber der reizende Junge, der schöne Sommertag und ein anscheinendes Nichts, das doch den Tod brachte, – es erschütterte mich.
Schulrat Methfessel
Methfessel
, trotzdem er Schulrat war und sich anscheinend für alles interessierte – während ihm doch ein wahres Interesse durchaus fehlte –, spielte keine besondere Rolle im Tunnel. Er gehörte zu denjenigen, denen man nicht recht traute. Seine mannigfachen Tugenden und Verdienste wurden durch ebenso viele Schwächen wieder in Frage gestellt.
Um aus der Reihe dieser Schwächen nur eine allerkleinste, freilich eine sehr charakteristische, herauszugreifen – er war ein »Uhrenzieher«, und zwar einer der eifrigsten und bedrücklichsten, die mir in meinem Leben vorgekommen sind. Nun wird dieser oder jener sagen: »Uhrenzieher! Warum nicht? Uhrenzieher, das sind einfach pünktliche Leute.« Gewiß. Aber Pünktlichkeit ist durchaus nicht das, was den eigentlichen Uhrenzieher ausmacht. Pünktlichkeit ist unbestritten eine Tugend, und wer pünktlich ist und nur pünktlich, ohne jeden weiteren Beigeschmack, den will ich loben, wiewohl offen gestanden mir persönlich die ganze Sache nicht viel bedeutet. Ich denke, dem Glücklichen schlägt keine Stunde, und er soll die glückliche Stunde nicht abkürzen, auch nicht auf die Gefahr hin, dabei einmal unpünktlich zu sein. Aber wenn er es zu
müssen
glaubt, gut. Ich habe nichts dagegen. Er wird sich dann aber aus der Schar der Glücklichen wegstehlen, ohne nach der Uhr gesehen zu haben, oder doch nur ganz still, ganz leise, ganz heimlich und diskret. Anders der eigentliche Uhrenzieher, der Uhrenzieher von Fach. Er zieht seine Uhr mit Ostentation, er zieht sie auch da noch, wo ein an der Wand befindlicher Chronometer die Stunde ganz genau zeigt, er zieht sie, weil er sie ziehen
will,
weil er eine mehr oder weniger unliebenswürdige Person ist, die einer ganzen Versammlung zu zeigen beabsichtigt: »Euer Gebaren hier ist gar nichts; ich habe Wichtigeres zu tun, und ich verschwinde.«
So war Methfessel.
Er trat in den Tunnel, als dieser in dem Zeichen von »Ligny« und »Waterloo« stand, was damals alle solche heranlockte, die, nach den Vorgängen des »stürmischen Jahres«, das Preußisch-Patriotische durchaus betont zu sehen wünschten. Zu diesen gehörte natürlich auch Methfessel, und zwar ebensosehr seiner Gesinnung wie seiner Lebensstellung nach. Er war geschulter preußischer Beamter mit einem Stich ins Höfische, Matthäikirchgänger, Büchsel-Mann, aber – soviel muß ich Methfessel lassen – wie sein Generalsuperintendent mit einem Beisatz, der mit der Bekenntnisstrenge wieder versöhnen konnte. Bei Büchsel selbst war es ein wundervoller, gelegentlich bis zu schlauer Eulenspiegelei sich steigernder Humor, bei Methfessel ein Stück Altliberalismus oder, wenn dies zu weit gegriffen ist, eine seinem Lehrer Diesterweg durchs Leben hin bewahrte Verehrung und Liebe. Diese nie verleugnete Liebe zu seinem alten Lehrer war sein schönster Zug, und ich muß ihm denselben um so höher anrechnen, als es, wie schon angedeutet, durchaus in seiner Natur und seinem Lebensgange lag, von den Anschauungen höchster Vorgesetzten abhängig zu sein. Geschulter preußischer Beamter, sagte ich. Ja, das war er, und in Haltung, Miene, Sprache kam dies gleichmäßig zum Ausdruck. Er hatte sich's, um nur ein Beispiel zu geben, angewöhnt, Personen, die sich einer Titelauszeichnung erfreuten, diesen Titel immer mit einer gewissen Feierlichkeit anzuheften. Er sprach also nicht einfach von Bethmann-Hollweg, Mühler, Böckh, Schönlein, sondern gab, auch im leichtesten Gespräche, jedem sein gerütteltes und geschütteltes Titulaturmaß, und noch in diesem Augenblicke stimmt es mich zur Heiterkeit, wenn ich mir vergegenwärtige, wie etwa die Worte »Geheimer Oberregierungsrat Pehlemann« über seine Lippen rollten. Es war an Zungenvolubilität etwas ebenso Vollkommenes wie Eigenartiges und glich den jetzt modischen Harmonikazügen, bei denen man nicht recht weiß, ob man mehr die bis zur Einheit gesteigerte Koppelung oder aber die schußartige Fluggeschwindigkeit des Ganzen bewundern soll.
In seinem Amte galt Methfessel für sehr tüchtig, und ich glaube, daß er sein Ansehen verdiente. In manchen Stücken aber irrte er. So wenigstens will es mir erscheinen. Er war beispielsweise dafür, fremde Sprachen durch
Deutsche
lehren zu lassen, weil diese »grammatikalisch« geschulter seien. Ich halte dies, nach an mir selbst gemachten
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