Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
vaterländischer Geschichte willen, vor im übrigen gleichwertigen Arbeiten den Vorzug verdiene. Woraus sich dann in weiterer Folge wie von selbst ergibt, daß auch der patriotische
Dichter
vor dem nichtpatriotischen immer einen Pas voraus habe. Durch den Stoff getragen, findet er von vornherein offenere Herzen. Diese weitverbreitete Meinung ist aber meiner Erfahrung nach grundfalsch. Von manch anderem, was sich gegen patriotische Stoffe sagen läßt, ganz abgesehen, ist auch vom persönlich-egoistischen Dichterstandpunkte aus nichts gefährlicher zu behandeln als das »Patriotische«. Glückt es, nun so gibt es einen großen Erfolg, gewiß; glückt es aber
nicht,
was doch immer die Mehrheit der Fälle bleibt, so ist der Sturz auch gleich klaftertief. Denn der Unglückliche wird nun nicht bloß um seiner dichterischen Mängel, sondern recht eigentlich auch um seiner
patriotischen
Stoffwahl willen angeklagt, weil das Publikum, wenn's fehlschlägt, hinter all dergleichen immer nur Streberei, Liebedienerei, Servilismus, im günstigsten Falle Bequemlichkeit vermutet. Und unser guter Leo Goldammer, all sein Talent in Ehren, war nicht der Mann, dem der Sieg garantiert gewesen wäre.
    Vortrefflich, um es zu wiederholen, war er als Erzähler. Ich erinnere mich einer Novelle, deren Schauplatz das Kurische Haff und deren Ausgang ein in den Dünen der Kurischen Nehrung auftretender Sandwirbelsturm war, in dem die Helden der Erzählung untergehen. Wir waren alle von der Macht der Schilderung hingerissen. Eine zweite Novelle, die die 54er »Argo« unter dem Titel »Auf Wiedersehen« brachte, liegt mir vor, und ich habe sie, nach nun länger als vierzig Jahren, wieder durchgelesen. Ich war ganz überrascht. Es ist offenbar eine Herbergsgeschichte, die Leo Goldammer irgendwo mal gehört haben muß. Zwei Bäckergesellen, ein guter und ein schlimmer, ermorden 1812 einen alten Juden, der in einer kleinen polnischen Stadt ein Geschäft treibt; der eine – der gute – hilft bloß so nebenher mit, hat aber doch schließlich den ganzen Vorteil von der Sache. Und nun ist ein Menschenalter und mehr darüber vergangen, und der, der nur so »nebenher mit geholfen«, ist inzwischen ein reicher Berliner Bäcker geworden und hält 48er Volksreden. Da mit einem Male ist der andere auch da, ganz heruntergekommen, erkennt seinen Mitschuldigen von ehedem und weiß nun: »Jetzt ist dir geholfen.« Aber der andere weiß es auch, weiß, daß es jetzt heißt: »Er oder ich«, und in der klaren Erkenntnis davon stößt er den alten und morsch gewordenen Komplizen von der Brüstung eines hart an den Eisenbahnschienen gelegenen Gartenhauses hinunter, und zwar in demselben Augenblicke, wo der Zug heranbraust. All dies ist mit einer wirklichen Vehemenz geschildert und derartig packend, daß ich, als ich fertig war, ausrief: »Klein-Zola«. Viele Szenen hatten mich an »La bête humaine« erinnert.
     

Heinrich Smidt
     
    Von sehr andrem Gepräge war
der,
von dem ich jetzt erzählen will,
Heinrich Smidt
. Er führte den Beinamen der »deutsche Marryat«, übrigens ohne von seinem Namenspaten – den Schauplatz seiner Erzählungen: das Meer, abgerechnet – viel an sich zu haben. In Deutschland ruht man nicht eher, als bis man einen Dichter oder Schriftsteller durch Aufklebung solches Zettels, wohl oder übel, untergebracht hat. Es spricht sich, wenig schmeichelhaft für uns, das Zugeständnis einer Untergeordnetheit und Abhängigkeit darin aus, sonst hätte solcher Brauch nie Mode werden können. Am meisten hat Jean Paul darunter zu leiden gehabt, dem gleich eine Gesamtähnlichkeit mit der Gruppe der englischen Humoristen des vorigen Jahrhunderts angeredet wurde. Dabei hat er fast gar keine Ähnlichkeit mit ihnen und ist – je nachdem – teils weniger, teils mehr.
    Heinrich Smidt war ein Holsteiner, in Altona 1798 geboren, und wurde Seemann. Als solcher führte er ein eigenes Schiff und war wohl schon über dreißig Jahre alt, als er Veranlassung nahm, das unsichere Meer da draußen aufzugeben, um es mit einem für die meisten Sterblichen noch unsicherern Aktionsfelde zu vertauschen. Ihm aber glückte es; er fuhr nicht schlecht dabei; seine Gaben und Nicht-Gaben – diese fast noch mehr als jene – halfen ihm.
    Als ich in den Tunnel eintrat, war er wohl schon zehn Jahre Mitglied und einer von denen, die mir sofort freundlich ihre Hand entgegenstreckten. Da sich's aber um Heinrich Smidt handelt, muß ich, statt einfach von »Hand«, eigentlich von einer

Weitere Kostenlose Bücher