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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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nicht vorgekommen. Von Ermüdung meinerseits nicht die Spur; ich war bloß traurig, daß wir schon in Köln waren.« Stiehl heiratete später eine Frau v.
M.; er
Witwer,
sie
Witwe. Die Partie wurde viel beredet, denn sie, die Dame, war der Typus der Vornehmheit, was man von ihm nicht sagen konnte. Trotzdem hatte sie richtig gewählt und war glücklich, an die Stelle der »Complaisance«, die bis dahin ihr Lebensteil gewesen war, ein Kraftgenie treten zu sehen.
    Die kleinen Festlichkeiten der ministeriellen Presse hatten, wie ich nur wiederholen kann, etwas von dem Charme der Offiziosität, die der fortschrittlichen Presse dagegen zeichneten sich durch Stil und Opulenz, durch Heranziehung von Kunst und Literatur aus, die der Kreuzzeitung aber waren die lehrreichsten und, wenn der Damm erst durchbrochen war, auch die gemütlichsten. Sie gaben sich nicht bloß als Extras, als Außergewöhnlichkeiten, sondern bildeten eine Art Institution, gehörten mit zum Programm. Ich muß deshalb etwas länger bei dieser Gastlichkeit verweilen.
    Die gesellschaftliche Repräsentation der Kreuzzeitung trat in drei Gestalten auf: als »Cercle intime«, als Königsgeburtstagsfeier und als politische Ressource. Diese drei waren, wie von den Gesellschaften der anderen Zeitungen, so auch untereinander ziemlich verschieden. Der »Cercle intime« war gleichbedeutend mit einem Sichversammeln im Familienkreise; nicht die Zeitung als solche lud ein, sondern der Chefredakteur in Person und in seinem Hause. Keine Parteirepräsentation; alles mehr Privatsache. Das zeigte sich schon darin, daß auch Damen daran teilnahmen. Exzellenzen erschienen nur vereinzelt, aber viele Stabsoffiziere, Geistliche, befreundete Professoren, überhaupt Freunde. Manche sind mir sehr lebhaft im Gedächtnis geblieben: Minister Bodelschwingh, Geheimrat von Senfft-Pilsach, Major Ribbentrop von der Gardeartillerie – der sich mit seiner Batterie vor Düppel ausgezeichnet hatte –, Oberstleutnant Graf Roedern von den Gardedragonern, Hofprediger Kögel, Professor W. Hensel, der junge Senfft von Pilsach, Neffe des vorgenannten Geheimrats. –
    Über die drei Letztgenannten möchte ich hier ein paar Worte sagen.
    Hofprediger
Kögel
war damals eben nach Berlin gekommen; er mochte vierzig sein. Schlank, grad aufrecht, von einer nervös angespannten und zugleich degagierten Haltung, machte er mehr den Eindruck eines mit glänzenden Aussichten ins Ministerium berufenen Regierungsrats als den eines Theologen. Lebhaft, espritvoll, verbindlich, aber inmitten aller Verbindlichkeit von – übrigens vollberechtigten – Überlegenheitsallüren, konnte er als ein Typus jener aus kleinen in große Verhältnisse hineingeratenen Persönlichkeiten gelten, die, plötzlich auf einer gewissen Höhe angelangt, rasch daselbst die Wahrnehmung ihrer Superiorität machen und in diesem Gefühl zu Tonangebenden und Regierenden werden, selbstverständlich unter kluger Wahrung aller durch Geburt und Verhältnisse vorgeschriebenen Distanzen. Irr' ich nun aber nicht, so hatte Kögel eine Neigung, diese so viel bedeutenden Distanzen in legererer Weise zu markieren als herkömmlich. Er »markierte« sie wirklich nur, statt ihnen einen starken Akzent zu geben, und bei dem feinen Wahrnehmungsvermögen, das hohe und höchste Herrschaften für solche Dinge haben, mußte sich in bestimmten Kreisen eine gewisse Gegnerschaft gegen ihn ausbilden. Er ist der glänzendste Kasualredner, den ich, sei's im Leben, sei's literarisch, kennengelernt habe; seine Gelegenheitsreden sind Musterwerke von Knappheit, Klarheit, Geschmack, und die vordem so beliebte Manier, in Anspielungen zu sprechen und dadurch, weil alles gelobt und alles getadelt wurde, sich nach allen Seiten hin zu salvieren, war ihm fremd. Vor Kennern bestand er glänzend. Aber es gab ihrer einzelne, die sich trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – nicht befriedigt fanden, weil sie nebenher beständig heraushörten: »Ihr seid ihr, und ich bin ich.« Es ist dreißig Jahre her, daß ich ihn zuerst sah; er machte schon damals den vorgeschilderten Eindruck, hatte schon damals alles
das,
was ihn auf seine Höhe hob, aber diese Hochstellung auch bedrohte. Seine Krankheit, die seinen Rücktritt veranlaßte, war vielleicht ein Segen für ihn.
    Von sehr anderem Gepräge war Professor
Wilhelm Hensel.
Er zählte zu den häufigsten Gästen, nahm auch an den offiziellen Festdiners, Königsgeburtstag etc. regelmäßig teil und war allgemein gern gesehen. In

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