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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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versuchen. Aber das war nicht leicht. Wer in ähnlicher Lage gewesen ist, wird mir das bestätigen, auch jetzt noch, trotzdem sich die Dinge seitdem sehr verbessert haben. Ich hatte zehn Jahre lang zur Regierungspresse gehört. In dieser verbleiben zu können, wäre mir schon aus Bequemlichkeit sehr erwünscht gewesen. Aber diese Presse der »Neuen Ära«, zu der auch indirekt die nationalliberalen Zeitungen gehörten, mißfiel mir oder ich ihr, und so blieben nur Vossin und Kreuzzeitung übrig. Ich war also in einer argen Verlegenheit und sprach mich zu Hesekiel darüber aus. Der sagte: »Ja, melden kannst du dich nicht bei uns. Aber wenn ein Angebot kommt, dann liegt es doch um ein gut Teil günstiger für dich.« Und schon am anderen Tage kam ein solches Angebot. Der Chefredakteur der Kreuzzeitung fragte bei mir an, »ob ich die Redaktion des englischen Artikels übernehmen wolle«. Noch ein wenig unter den Gruselvorstellungen stehend, die sich, von 1848 her, an den Namen »Kreuzzeitung« knüpften, war ich unsicher, was zu tun sei, beschloß aber, wenigstens mich vorzustellen. Ein bloßer erster Besuch konnte ja den Kopf nicht gleich kosten. Immerhin hatte die Sache was von der Höhle des Löwen. Vier Uhr war Sprechstunde. Pünktlich erschien ich in der Bernburger Straße, wo der Chefredaktur der Kreuzzeitung schräg gegenüber der Lukaskirche wohnte. Matthäi wäre wohl besser gewesen, aber Lukas war auch gut. Endlich in der zweiten Etage glücklich angelangt, zog ich die Klingel und sah mich gleich darauf dem Gefürchteten gegenüber. Er war aus seinem Nachmittagsschlafe kaum heraus und rang ersichtlich nach einer der Situation entsprechenden Haltung. Ich hatte jedoch verhältnismäßig wenig Auge dafür, weil ich zunächst nicht ihn, sondern nur sein unmittelbares Milieu sah, das links neben ihm aus einem mittelgroßen Sofakissen, rechts über ihm aus einem schwarz eingerahmten Bilde bestand. In das Sofakissen war das Eiserne Kreuz eingestickt, während aus dem schwarzen Bilderrahmen ein mit der Dornenkrone geschmückter Christus auf mich niederblickte. Mir wurde ganz himmelangst, und auch das mühsam geführte Gespräch, das anfänglich wie zwischen dem Eisernen Kreuz und dem Christus mit der Dornenkrone hin und her pendelte, belebte sich erst, als die Geldfrage zur Verhandlung kam. London hatte mich nach dieser Seite hin etwas verwöhnt, und ich sah mit Schmerz die Abstriche, die gemacht wurden. Als so zehn Minuten um waren, stand ich vor der Frage: »Ja« oder »Nein«. Und ich sagte: »Ja«. Nicht leichten Herzens. Aber vielleicht gerade weil es ein so schwerer Entschluß war, war es auch ein guter Entschluß, aus dem mir nur Vorteile für mein weiteres Leben erwachsen sind. Ich blieb bis kurz vor dem Siebziger Krieg in meiner Kreuzzeitungs-Stellung und muß diese zehn Jahre zu meinen allerglücklichsten rechnen. Daß es so verlief, lag an verschiedenen Dingen. Es kamen die Kriegsjahre 1864 und 1866, die mir Gelegenheit gaben, mich mehr als einmal nützlich zu machen; ich bereiste die Kriegsschauplätze, war in Schleswig, Jütland, Seeland, in Böhmen und den Gegenden des Mainfeldzuges, was mich alles ungemein erfrischte. Zugleich gab es mir ein Relief. Es war auch dasselbe Jahrzehnt, in dem ich meine »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« und meinen ersten vaterländischen Roman – »Vor dem Sturm« – begann. Zudem, von Vierzig bis Fünfzig ist beste Lebenszeit. Aber der Hauptgrund, daß ich mich all die Zeit über so wohl fühlte, war doch der, daß, verschwindend kleine Störungen abgerechnet, das Leben auf der Redaktion und mehr noch das nebenherlaufende gesellschaftliche Leben ein sehr angenehmes war. Von dem sprichwörtlichen »Der schwarze Mann kommt«, wovor ich ganz aufrichtig gebangt hatte, war keine Rede; nichts von Byzantinismus, nichts von Muckertum. Alles verlief eher umgekehrt. Stärkste Wendungen, auch gegen Parteiangehörige, fielen beständig und von jener erquicklichen Meinungsfreiheit – der ich übrigens, um von unserem vielverketzerten Metier auch mal was Gutes zu sagen, auf
allen
Redaktionen begegnet bin – wurde der weiteste Gebrauch gemacht. Ich möchte hier überhaupt einschalten dürfen, daß es – was auch ein wahres Glück ist – nach meinen Erfahrungen eine gewisse Zeitungssolidarität gibt, die durch die Parteifarbe wenig beeinträchtigt wird, und so gedenk' ich denn auch gern eines Wortes, das Professor Stahl einmal in einer Kreuzzeitungs-Versammlung aussprach:

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