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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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großen Zuneigung zu ihm hatte er keine Ahnung; sie galt dem Menschen, aber noch mehr dem Schriftsteller. Sein Buch »Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen« ist ein Prachtstück unserer märkischen Spezialliteratur.
    Ich sprach eingangs noch von einer dritten gesellschaftlichen Vereinigung auf der Kreuzzeitung und nannte sie »politische Ressource«. Diese dritte Vereinigung war, ich will nicht sagen die vorzüglichste, aber doch die wichtigste von den dreien und bildete recht eigentlich ein unterscheidendes Merkmal. »Cercle intime« und offizielle Festessen gab es in allerhand Schattierungen auch bei anderen Redaktionen, aber diese politische Ressource war ein Ding, das nur die Kreuzzeitung hatte. Die Gründung war wohl auf Hermann Wagener, den »Kreuzzeitungs-Wagener«, zurückzuführen und verfolgte, wenn ich es richtig errate, den Zweck, in jedem Redaktionsmitgliede das Gefühl einer besonderen Zugehörigkeit zu wecken oder, wo es schon da war, es zu steigern. Keiner sollte sich als Lohnschreiber empfinden. Also Umwandlung des Hörigen in einen Freien. Wie bei den Versammlungen im Offizierskasino der jüngste Fähnrich in gesellschaftliche Gleichheit mit seinem Obersten kommt, so sollten in dieser politischen Ressource die Redakteure mit der gesamten Obersphäre Fühlung gewinnen. Es wurde nicht viel daraus, aber die bloße Tatsache, daß Personen da waren, die so was Hübsches im Auge hatten, ist einer dankbaren Erinnerung wert. Außer Wagener nahmen an diesen Réunions auch noch Graf Eberhard Stolberg, Geheimrat von Klützow, Geheimrat Dr. Ludwig Hahn und einige Geistliche teil, und ich gedenke dieser Zusammenkünfte mit einem ganz besonderen Vergnügen. Es war die Zeit, wo die Lassalleschen Ideen im Auswärtigen Amt (Bismarck) Terrain gewannen und wo Hermann Wagener dem Minister einträufelte, »die verhaßte Bourgeoisie durch die Sozialdemokratie zu bekämpfen«. In einer mir unvergeßlichen Sitzung geriet er (Wagener) über diese Frage mit Geheimrat Ludwig Hahn in einen sehr hitzigen Disput, in dem er den kürzeren zog, weil er mit der Sprache nicht recht herausrücken und das Spiel nicht aufdecken konnte. Hahn war außerdem in dialektischer Spitzfindigkeit ihm mindestens ebenbürtig, wenn auch Wagener die weitaus genialere und politisch weiterblickende Natur war, eine Art Nebensonne zu Bismarck. Dispute der Art – auch mal über »englische und preußische Polizei«, bei welcher Gelegenheit ich, zum Sprechen aufgefordert, als Enfant terrible debütierte (Klützow machte ein langes Gesicht, während Graf Eberhard und namentlich Wagener unbändig lachten) – Dispute der Art, sag' ich, waren häufig, und es war ein Jammer, daß sich die ganze Herrlichkeit kaum einen Winter lang hielt. Es ging doch wohl nicht recht. Aber wie dem auch sein möge, der ganze Hergang ist mir immer ein Hauptargument, wenn es sich darum handelt, das konservativ-orthodoxe Element gegen unverdiente Beschuldigungen in Schutz zu nehmen 8 .
     
    Nach dieser weiten Abschweifung, in der ich mich ausschließlich mit dem Ton, der vor dreißig Jahren auf der Kreuzzeitung herrschte, beschäftigt habe, kehre ich zu meinem eigentlichen Thema zurück, zu George Hesekiel, der all die vorgeschilderten Dinge mit mir gemeinschaftlich durchlebte.
    Daß er damals das »große Talent« der Zeitung war, sagte ich, glaub' ich, schon – nicht das große
politische,
wohl aber das große journalistische Talent. Politiker war er gar nicht; er kultivierte statt dessen das Interessante, das Sensationelle, die Spannung, und wer was vom Zeitungsdienst versteht, weiß, daß das allerdings die Hauptsache bleibt. Die Partei wie die Redaktion wußten denn auch jederzeit, was sie an ihm hatten, aber sie wußten es nicht genug oder nicht jeden Augenblick oder wollten es nicht wissen, und das führte dann mitten in seinem Triumphzuge zu beständig sich einschiebenden Kränkungen und Niederlagen. Allerdings lag die Schuld, wenn von einer solchen überhaupt gesprochen werden kann, nicht bloß bei seinen gelegentlichen Angreifern oder Unterschätzern, sondern auch bei ihm selbst, weil er, wie so oft große Talente, mit
dem,
was von der anderen Seite her beim besten Willen geleistet werden konnte, nicht richtig rechnete.
    Natürlich, wie jeder Eingeweihte weiß, ist unter dieser »anderen Seite« niemand anders als der Chefredakteur zu verstehen, mit dem das ihm unterstellte Personal regelmäßig unzufrieden ist, und Hesekiel war es redlich. Er sah überall

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