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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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»Meine Herren, vergessen wir nicht, auch das konservativste Blatt ist immer noch mehr Blatt als konservativ.«
    Auf der Redaktion saßen Hesekiel und ich dicht zusammen, nur durch einen schmalen Gang getrennt, und mitunter schrieben wir uns Briefe, die wir uns von einem Tisch zum andern herüberreichten. Es wurden darin immer nächstliegende Personalien verhandelt, anzüglich, aber nie bösartig, vielmehr vorwiegend in so grotesk ausschweifender Weise, daß dadurch der kleinen Malice die Spitze abgebrochen wurde. Meist ging es gegen den Chefredakteur, dessen pedantische Ruhe der Hesekielschen Natur durchaus widersprach. Am ungeniertesten wurde mit dem aus dem Waldeck-Prozeß schlecht beleumdeten Goedsche verfahren, der übrigens keineswegs ein Schreckensmensch, vielmehr, bei hundert kleinen Schwächen und vielleicht Schlimmerem, ein Mann von großer Herzensgüte war; er schrieb damals an seinen, vom buchhändlerischen Standpunkte aus berühmt gewordenen Sir John Retcliffe-Romanen, die, wie er selbst, eine Quelle beständiger Erheiterung für uns waren. Einer dieser Romane hieß »Nena Sahib«. Wenn nun eine ganz ungeheuerliche Stelle kam, wo die Schrecknisse sich riesenhaft türmten, so kriegte er es doch mit der Angst, und fühlend, daß er dem Publikum vielleicht allzuviel zumutete, machte er, mit Hilfe eines Sternchens, eine Fußnote, darin es in lakonischer Kürze hieß: »Siehe Parlamentsakten«. Er hütete sich aber, Band und Seitenzahl anzugeben. Wenn wieder ein mehrbändiges Werk fertig war, ließ er es jedesmal elegant einbinden, um es dann, in der Privatwohnung des Chefredakteurs, der sehr feinen und sehr akkuraten Dame des Hauses als Huldigungsexemplar überreichen zu können. In besonders schweren Fällen soll er aber hinzugesetzt haben: »Ich muß die gnädige Frau dringend bitten, es nicht lesen zu wollen.« Von Hesekiel ließ er sich alles gefallen; manche Wendungen waren stereotyp. Es kam vor, daß Goedsche mit einem gewissen Feldherrnschritt auf der Redaktion erschien und hier, ohne daß das geringste vorgefallen war, ein ungeheures Ergriffensein über einen rätselhaften und vielleicht gar nicht mal existierenden Hergang zur Schau stellte. Hesekiel sagte dann, um diesen falschen Rausch zu markieren, ruhig vor sich hin: »Goedsche hat heute wieder seine Zahntinktur ausgetrunken.« Ich persönlich habe Goedsche nur von zwei Seiten kennengelernt: als Vogelzüchter und Bellachini-Freund. Er hatte eine Hecke der schönsten australischen und südamerikanischen Vögel, und Bellachini war auf seine Art ein reizender Mann, was nicht wundernehmen darf. Alles, was sich an der Peripherie der Kunst herumtummelt: Akrobaten, Clowns, Monsieur Herkules, Zauberer und Taschenspieler – alle sind meist sehr angenehme Leute, weil sie das Bedürfnis haben, die Welt mit sich zu versöhnen. Goedsche zog sich in den siebziger Jahren nach Warmbrunn zurück, woselbst er in seinen guten Tagen – er hatte an den Retcliffe-Romanen ein enormes Geld verdient – ein Krankenhaus gestiftet hatte; dort starb er auch. Das letzte Mal, da ich ihn sah, noch in Berlin, war er sehr elend, infolge einer merkwürdigen, echt Goedscheschen Weihnachtsfeier. Seine Frau war ihm gestorben, und ganz in Sentimentalität steckend, wie so oft Naturen der Art, begab er sich am Christabend nach dem katholischen Kirchhofe hinaus und veranstaltete hier, indem er zahllose Lichter aufs Grab pflanzte, eine Liebes- und Gedächtnisfeier. Er setzte sich auf ein Nachbargrab und sang einen Vers und weinte. Die Folge davon war ein Pyramidalkatarrh, der sein Leben schon damals in Gefahr brachte.
    Wie schon erzählt, Hesekiels und mein Arbeitstisch standen nahe beieinander. Aber was jeder von uns an seinem Tische leistete, das war sehr verschiedenwertig. Er war eine Hauptperson der Zeitung, zeitweilig
die
Hauptperson, und an der Betätigung seiner Gaben war der Zeitung und jedem Adligen und Geistlichen auf dem Lande sehr gelegen. Alle wollten hören, wie der damals noch nicht entpuppte »legitimistische Marquis« über Louis Napoleon denke. Mit dem englischen Artikel, der meine Domäne bildete, lag es umgekehrt, und ich glaube, daß dies auch der Grund war, warum mein Vorgänger Dr. Abel – er wurde später Times-Korrespondent und zeichnete sich als solcher aus – seine Kreuzzeitungs-Stellung aufgab. Es waren, auf England hin angesehen, stille Zeiten, alles Interesse lag bei Frankreich oder bei uns selbst, und so kam es, daß zeitweilig jeden Morgen der

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