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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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meiner Frau jedesmal ein ganz besondres Grauen einflößte, was aber, weit darüber hinaus, die Lage ganz besonders heikel machte, war der Umstand, daß wir kaum acht Tage vorher von einem Cabkutscher gelesen hatten, der, in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Diebs- und Mörderbande, sich durch prompte Fahrgastablieferung in Quartieren à la Clerkenwell nützlich gemacht hatte. Mir selbst war, dem allem gegenüber, auch ziemlich ängstlich zu Sinn, aber dies Angstgefühl verschwand doch neben der Schreckensfrage: »Wenn deine arme Frau jetzt gerade aufwacht!« Und natürlich keine halbe Minute mehr, so gab es einen Stoß, und aus ihrem Schlaf in die Höh' fahrend, sah sie jetzt durch das herabgelassene Fenster auf die ihr nur zu wohlbekannten, aus hellgelben Ziegelsteinen aufgeführten Ruinen.
    »Um Gottes willen, er fährt ja ...«
    »Ja, ja Kind. Aber beruhige dich nur; es wird schon wieder besser; wir sind ja gleich heraus ...«
    »Nein, nein. Laß halten.«
    »Ich bitte dich. Um alles in der Welt, mach' hier keine Szene. Wir blamieren uns unsterblich ... Unter allen Umständen, wir können nichts ändern. Außerdem, sieh nur, er jagt ja wie toll, es ist, als ob er sich selber graule.«
    Wirklich, eine halbe Minute später, so lag Clerkenwell hinter uns; das mußte Somers-Town sein und das der Eisenbahnbogen. Und eine kleine Weile noch, so hielten wir vor unsrem Haus, und Betty, die sich schon geängstigt hatte, leuchtete uns, den Blaker in der Hand, die kleine Treppe hinauf.
     
    Nach diesem Abend sah ich Faucher erst wieder, als wir, nach Berlin zurückgekehrt, uns daselbst längst wieder heimisch gemacht hatten. Es war eine Begegnung im Zoologischen Garten, Sommer zweiundsiebzig. Ein reiches, durch zwölf Jahre hin in der deutschen Heimat geführtes politisches Leben lag hinter meinem alten Londoner Kneipkameraden, und da saß er nun, sorglich abgetrennt von den Alltagsbesuchern, auf einer etwas erhöhten, beinah altanartigen Stelle, drauf sich ein primitiver Tisch und eine noch primitivere Bank befand. Augenscheinlich ein letztes Refugium für sonntägliche Gäste, wenn alle anderen Plätze besetzt waren. Einen Tintenstecher, der ihn, von seinen Studententagen her, durchs Leben begleitet haben mochte, schräg in den Tisch gebohrt und einen kleinen Briefbogen vor sich, sah er, abwechselnd, wie was suchend, in den Himmel hinauf und dann wieder auf den Bogen nieder, um ein paar Zeilen zu kritzeln. Ich beobachtete ihn schon von fern und trat dann an ihn heran.
    »Guten Tag, Faucher. Daß ich Sie mal wiedersehe. Und immer fleißig.«
    Er lachte. »Sie überschätzen mich. Muß ist eine harte Nuß. Geld, Freund, Geld ...«
    »Ja, ich weiß. Ich erinnere mich recht gut. ›Jetzt muß Geld und Weltgeschichte gemacht werden‹ – das war immer Ihr Lieblingswort, schon damals, als wir in London die Vermählungstage mitfeierten.«
    Er nickte. »Kann mir denken, daß ich so was gesagt habe; hab's auch mit beiden versucht. Nur leider mit entschiedenem Mißerfolge. Der Mißerfolg mit der ›Weltgeschichte‹, na, das möchte gehn; aber das mit dem Geld, das ist mir schmerzlich. Und nun sitz' ich hier im Zoologischen und kritzle eine Korrespondenz zusammen und weiß nicht recht, was ich schreiben soll.«
    »Und was macht denn Lucie? Noch immer so reizend?«
    »Na ob!« Und sein ganzes Gesicht strahlte.
    Wir sprachen dann noch von Bismarck, von Eugenie – für die er natürlich eine Vorliebe hatte – und von den fünf Milliarden. Auf
die
aber war er schlecht zu sprechen. »Ja«, sagte er, »wenn ich sie hätte, das ginge, das könnte mich damit versöhnen. Aber Deutschland hat nichts davon. Für Deutschland sind sie nichts Gutes; sie ruinieren uns.«
    Und damit schieden wir.
    Ich hörte noch dann und wann von ihm und von seinen Fahrten an den Küsten des Mittelmeeres: Italien, griechische Inseln, Konstantinopel. Er war fast immer unterwegs. Zuletzt kam die Nachricht von seinem Tode.
    Am 12. Juni 1878 war er in Rom gestorben.
     
Drittes Kapitel
     
Der Platen-Verein: Egbert Hanisch
    Zur selben Zeit, wo ich der vorgeschilderten
Lenau
-Gesellschaft angehörte, war ich, wie schon hervorgehoben, auch Mitglied eines
Platen
-Klubs.
    Es war gleich in den ersten Tagen des Januars 40, daß ich mich hier eingeführt sah. Und das kam so. Der Silvesterabend hatte mich, einer gesellschaftlichen Abmachung zuliebe, nach der »Hennigschen Ressource« verschlagen, und hier war ich einem jungen Maler namens Flans begegnet, der, weil er

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