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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Sie spielte übrigens diese Rolle gut genug, trotzdem ihr Faucher und die häuslichen Verhältnisse dies nicht gerade erleichterten. Einmal erschienen wir, um gleich in den ersten fünf Minuten mit der Mitteilung überrascht zu werden, daß in der Nacht vorher bei ihnen eingebrochen und beinah sämtliches Silberzeug weggeräubert sei. Wir möchten also entschuldigen. Dann gingen wir zu Tisch und behalfen uns mit zwei Papplöffeln und ein paar neusilbernen Bestecken, die die »Diebe« wegen Minderwertigkeit zurückgelassen hatten. An allem ließ sich erkennen, daß ein schweres Gewölk, sehr ähnlich dem, das bei Gelegenheit der Heymannschen Taufe heraufgezogen war, unmittelbar vorher zu Häupten der Familie gestanden haben müsse, ja vielleicht noch stehe; beide Eheleute aber hatten ein seltenes Talent, solche Fatalitäten unter Lächeln und Freundlichkeiten verschwinden zu lassen.
    Der Sonnenschein des Hauses, der einzige wohl ganz echte, war die schöne Lucie, ein reizendes Kind an der Backfischgrenze. Sie wußte, was um sie her vorging, und wußt' es auch wieder nicht. Elfenartig, dem Wirklichen halb entrückt, bewegte sie sich unbefangen in einer Welt von Widersprüchen und Wunderlichkeiten, von Zank und Streit, von schönen Kleidern und silbernen Löffeln, gleichviel, ob diese noch existierten oder über Nacht in etwas rätselvoller Weise verlorengegangen waren. Alles war ihr dasselbe, traumhaft zog der bunte Reigen an ihr vorüber. Vieles im Faucherschen Hause war nur plattiert, aber die Liebe zu dieser reizenden Tochter, in der sich alles Gute der beiden Eltern vereinigt fand, war echt und aufrichtig, und der Zauber, der ihr eignete, war es denn auch, der sie schon früh ihr Lebensglück finden ließ. Sie wurde die Gattin eines ausgezeichneten Mannes und hat, wenn ich recht berichtet bin, im Südosten, in den großen See- und Handelsstädten des Mittelmeeres, ihre jungen Tage verbracht.
    Der letzte Besuch, den wir, meine Frau und ich, in Denmark Hill machten, schloß für uns mit einem kleinen Abenteuer ab. Es hatte den Tag über geregnet, und erst zu später Stunde, weil wir das Wetter abwarten wollten, brachen wir, so gut es ging und die Wasserlachen es zuließen, in Geschwindschritt auf, um noch den letzten Camberwell-Omnibus zu fassen. Aber wir kamen trotzdem zu spät, er war schon fort, und so stapften wir denn aufs neue durch die Tümpel hin, eine ganze deutsche Meile weit, bis wir die Blackfriarsbrücke glücklich erreicht hatten. Da standen Cabs.
    »Wir sind nun doch mal naß«, sagte ich. »Ich glaube, es ist das beste, wir marschieren weiter.«
    »Ich kann nicht mehr; ich bin todmüde.«
    So winkte ich denn einen Cab heran – Cabs, im Gegensatz zu Berlin,
kommen,
wenn man winkt –, und wir stiegen ein. Und ehe wir noch über die Brücke waren, schlief meine Frau schon.
    Es ging nun in grader Linie nördlich auf Holborn Hill zu, wo wir links einbiegen und dann, in abermaliger Biegung, durch Grays Inn Lane hin, auf unsre Wohnung in Camden-Town zufahren mußten. Aber dies links Einbiegen bei Hollborn Hill wurde versäumt, und unser Cabkutscher zog es statt dessen vor, in grader Linie zu bleiben. Nun wußt' ich sehr wohl – denn ich kannte London besser, als ich Berlin kenne –, daß man auf diesem Wege gradesogut nach Norden kam wie durch Grays Inn Lane, aber ebensogut wußt' ich auch, daß die Cabkutscher nie so fuhren, denn dieser gradlinige Weg führte durch eins der schlechtberufensten und zugleich engsten und winkligsten Quartiere von London, durch Clerkenwell. Wie oft, wenn wir, auf unserm täglichen Wege zur Post, Holborn Hill passierten, hatten wir nach diesem übelberufnen Stadtteile scheu hinübergeblickt; denn man konnte nicht leicht etwas Trostloseres und Beängstigenderes sehn als dies Clerkenwell. Daß es aus halbverfallenen elenden Häusern bestand, hatte nicht viel zu sagen, solche heruntergekommenen Quartiere gab und gibt es in London überall, aber
das
war das Schlimme, daß man vor etwa zwanzig oder dreißig Jahren den Versuch gemacht hatte, das Alte hier niederzureißen und Neues an seine Stelle zu setzen, in welchem Versuche man, weil die Baugelder ausgingen, steckengeblieben war. Als Folge davon ergab sich nun ein furchtbares Mixtum compositum von Spelunken und unfertigen Neubauten, von welch letztren man nichts sah als zehn oder fünfzehn Fuß hohe Mauern mit halbfertigen Fensteröffnungen. Denn auch diese schnitten wieder in der Mitte ab. Ich wußte, daß dieser Stadtteil

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