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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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das Kreuz.
    Feig, wie sie sind, blieb dir das nackte Leben,
    Du schleppst es hin, doch keine Freude beut's;
    Gestempelt, du, zum Schelm und zum Verbrecher,
    Dess' Seele frei von jedem Makel ist,
    Dein Bettgenoß ein Dieb vielleicht, ein Schächer,
    Und alles nur, weil du kein Sklave bist.
     
    Wie lange noch soll dieses Treiben währen,
    Wie lange spielen wir »verkehrte Welt«?
    Die Sklavenseele bettelt sich zu Ehren,
    Und jede freie Männerseele fällt.
    Trostlose Wüste streckt sich ohne Grenzen
    Durch unser Land – und träumt an schatt'gem Ort
    Je ein Oasenquell von künft'gen Lenzen,
    So naht der Samum, und der Quell verdorrt.
     
    Als Phrasengedicht ganz gut; ich komme weiterhin auf diesen heiklen Punkt zurück. Hier zunächst noch ein Wort über Kriege. Seine soldatischen Erlebnisse wurden wohl Grund und Ursache, daß er nach Absolvierung seiner Militärzeit den Staub von den Füßen schüttelte und nach Amerika ging. Ich weiß nicht mehr, in welcher Eigenschaft. Aber er war auch drüben kein vom Glück Begünstigter und ist, vom Fieber befallen, bald aus dieser Zeitlichkeit geschieden.
    Dr. Georg Günther
war an Wissen und Charakter der Bedeutendste. Wie Robert Binder, der geschäftlich sein Chef war, war er ein ausgesprochener Sachse, aber von der sehr entgegengesetzten Art; und wenn Robert Binder den Kaffeesachsen, also den
sentimentalen
sächsischen Typus vertrat, so Georg Günther den
energischen,
leidenschaftlichen, zornig verbitterten. In seinem, wenn ihn nichts reizte, klugen und freundlichen Auge funkelte was Unheimliches, und so verbindlich und selbst heiter er sein konnte, so merkte man doch gleich, daß er in jedem Augenblick bereit war, sich übers Schnupftuch zu schießen. Wer die Sachsen kennt, weiß, daß man sich zwischen diesen beiden gegensätzlichen Typen beständig hin und her bewegt. Doch ist die Günther-Type viel häufiger, was ein Glück ist. Daß die Sachsen sind, was sie sind, verdanken sie nicht ihrer »Gemütlichkeit«, sondern ihrer Energie. Dies Energische hat einen Beisatz von krankhafter Nervosität, ist aber trotzdem als Lebens-und Kraftäußerung größer als bei irgendeinem andern deutschen Stamm, selbst die Bayern nicht ausgenommen – die bayerische Energie ist nur derber. Die Sachsen sind überhaupt in ihrem ganzen Tun und Wesen noch lange nicht in der Art überholt, wie man sich's hierzulande so vielfach einbildet. Und das hat seinen guten Grund, daß von ihrem »Überholtsein« keine Rede sein kann.
Sie
sind die Überlegenen, und ihre Kulturüberlegenheit wurzelt in ihrer Bildungsüberlegenheit, die nicht vom neusten Datum, sondern fast vierhundert Jahre alt ist. Das gibt dann, auch im erbittertsten Kampfe der Interessen und Ideen, immer einen Regulator. Der sächsische Großstadtsbürger ist sehr bourgeoishaft, der sächsische Adel sehr dünkelhaft – viel dünkelhafter als das Junkertum, das eigentlich einen flotten, fidelen Zug hat –, und der sächsische Hof ist katholisch, was doch immerhin eine Scheidewand zieht, aber alle drei sind durch ihr hohes Bildungsmaß vor Fehlern geschützt, wie sie sich in andern deutschen Landen, ganz besonders aber im Altpreußischen, sehr hochgradig vorfinden. Alles, was zur Oberschicht der sächsischen Gesellschaft gehört, auch
die,
die Fortschritt und Sozialdemokratie mit Feuer und Schwert bekämpfen möchten – viel rücksichtsloser, als es in Preußen geschieht –, alle haben, mitten im Kampf, die neue Zeit begriffen, während die tonangebenden Kreise der ostelbischen Provinzen die neue Zeit
nicht
begriffen haben. Anachronismen innerhalb der gesamten Anschauungswelt, Rückschraubungen, sind in Sachsen unmöglich, womit nicht gesagt sein soll, daß in praxi nicht Schrecklichkeiten vorkommen.
Die
kommen aber immer und überall vor und werden überhaupt nicht aus der Welt geschafft werden.
    Aber nach dieser Sachsenhymne zurück zu meinem Dr.
Georg Günther.
Er hatte für künstlerische Dinge, speziell auch für Poetisches, ein sehr gutes Verständnis, wahrscheinlich ein viel besseres als wir Verseschmiede selbst, trotzdem war ihm der ganze poetische Krimskrams etwas Nebensächliches, auf das er nur insoweit Rücksicht nahm, als es sich seinen redaktionellen Zwecken dienstbar machte. Diese Rücksicht trug mir denn auch seine Gunst ein. Aber vielleicht war es auch noch ein andres, was ihn mir geneigt machte. Durch mein ganzes Leben hin habe ich gesehn, wie sich die Gegensätze anziehn und daß Raufbolde, Kraftmeier und mit

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