Von Zwanzig bis Dreißig
Orsini-Bomben operierende Verschwörer eine Vorliebe für Harmlosigkeitsmenschen haben. Sie möchten nicht mit ihnen tauschen, das würd' ihnen einfach lächerlich vorkommen, aber oft überkommt sie die Vorstellung, als ob der andre doch vielleicht das bessere Teil erwählt habe. So war auch Günther. Besonders gern ging er an meinen freien Tagen mit mir spazieren, meilenweite Wege bis nach Eilenburg hin, wo wir eine an einen sogenannten »Monteur« verheiratete Schwester von ihm besuchten. Auf diesen Spaziergängen hab' ich mancherlei gelernt, denn er war ein sehr gescheiter Mann und sprach dabei so harmlos wie ein Kind.
Eine andere Schwester von ihm war an
Robert Blum
verheiratet oder vielleicht auch, daß Günther eine Schwester von Robert Blum zur Frau hatte, jedenfalls waren Günther und Blum Schwäger. Sie zogen auch politisch denselben Strang. Trotzdem war ihre Freundschaft nicht allzu groß, was den, der beide kannte, nicht sehr überraschen konnte. Robert Blum war Volksredner comme il faut und hat einen politischen Einfluß geübt, der weit über den seines Schwagers hinausging; aber dieser war nicht nur der viel feinere Geist, sondern auch der viel gebildetere Mensch. Und als solcher mocht' er an Blums Auftreten gelegentlich Anstoß nehmen. 2
Drei Jahre Später – 1844 –, als ich Soldat war, besuchte mich Günther in Berlin. Wir gingen ins Theater und kneipten bis in die Nacht hinein. Auf dem Heimwege redeten wir Welten und kamen vom Hundertsten ins Tausendste. Mit einem Male blieb er stehen und sagte: »Schade, daß Sie so sehr
Nihilist
sind, nicht ein russischer, sondern ein recht eigentlicher, will also sagen einer, der gar nichts weiß.« Solche Sätze, wie die meisten, die einem nicht schmeicheln, bleiben einem im Gedächtnis.
Das war Anno 1844. Wenn ich nicht irre, war er 1848 und 1849 noch in Deutschland und Mitglied des Frankfurter Parlaments. Aber bald danach – die Erschießung seines Schwagers Robert Blum in Wien und die Maikämpfe in Dresden mochten ihm den Boden unter den Füßen etwas zu heiß gemacht haben – verließ er Deutschland und ging nach Amerika. Dort, wie so viele Flüchtlinge, wurde er Mediziner und verrichtete homöopathische Wunderkuren. Es ging ihm äußerlich gut, aber die Sehnsucht blieb.
Etwa zwanzig Jahre später erhielt ich aus »Charlottenburg Westend« ein Postpaket, eigentlich bloß einen großen Brief, und als ich ihn öffnete, waren es drei, vier längere Gedichte, die ich Anno 1841 oder 42 an Günther zum Abdruck in einem seiner Blätter geschickt hatte. Zu diesem Abdruck war es nicht gekommen, und schließlich waren die Gedichte mit nach Amerika hinübergewandert. Da hatt' ich sie nun wieder. Daneben lag ein Kartenbillet, auf dem ich von meinem alten Freunde Günther begrüßt und nach Westend hinaus – wo er bei seinem Stiefsohn, einem wohlhabenden Kaufmann, wohnte – eingeladen wurde. Natürlich kam ich der Einladung nach und verbrachte draußen einen angenehmen und sehr interessanten Abend. Aber freilich, alles war wie verschleiert. Er suchte zu lächeln, ohne daß es ihm so recht gelang; er war ein gebrochener Mann. Und nicht allzu lange mehr, so wurde mir denn auch Mitteilung, daß er gestorben sei. Bei seiner Bestattung konnt' ich leider nicht zugegen sein.
Er, der innerlich und äußerlich viel Umhergeworfene, ruht nun auf dem Charlottenburger Kirchhof.
Viertes Kapitel
Der Herwegh-Klub. Wilhelm Wolfsohn. Max Müller
Hermann Schauenburg, Hermann Kriege, Dr. Georg Günther, das waren die drei, mit denen mich der erste literarische Teeabend bei Robert Binder und Frau bekannt gemacht hatte. Diese drei waren aber nur ein Bruchteil eines literarischen Vereins, dessen geistiger Mittelpunkt
Georg Herwegh
war, weshalb ich denn auch diesen Leipziger Dichterverein als einen »
Herwegh-Klub
« bezeichnen möchte. In diesen Klub sah ich mich natürlich alsbald eingeführt und machte da die Bekanntschaft von einem Dutzend anderer Studenten, meistens Burschenschafter, einige schon von älterem Datum. Es waren folgende: Köhler (Ludwig), Prowe, Semisch oder Semig, Pritzel, Friedensburg, Dr. Cruziger, Dr. Wilhelm Wolfsohn, Max Müller. Alle haben in der kleinen oder großen Welt von sich reden gemacht. In der ganz großen Welt allerdings nur einer, der Letztgenannte. Ludwig Köhler war ein hübsches dichterisches Talent und beschloß seine Tage wohl in seiner thüringischen Heimat; Prowe wurde Gymnasialprofessor in Thorn und setzte sein Leben an die
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