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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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der Queue war. Er antwortete mir durch Übersendung einer Festschrift, in der ich auch sein Bild fand. Seinem Konterfei bin ich seitdem noch zweimal begegnet, erst in einem Bilde von G. F. Watts, dann – auf einer der Schulteschen Ausstellungen – in einem anderen von Sauter; letzteres Bild ganz ausgezeichnet und dem Müller von 41 noch immer ähnlich.
     
    Das waren meine »literarischen Beziehungen«; so war unser Herwegh-Klub. Dichterisch kam dabei nicht viel zutage, trotzdem von unserm Klub, wie von so vielen andern Stellen in Deutschland, drei stattliche Manuskriptpakete die Wanderung nach Zürich hin antraten, zu Froebel u. Co., wo Herweghs Gedichte erschienen waren. Eins dieser Manuskripte rührte, wie kaum noch gesagt zu werden braucht, von mir her und war von einigen Einleitungsstrophen begleitet, die, nicht minder selbstverständlich, die Überschrift: »
An Georg Herwegh
« trugen. 3 Es hieß darin, nach voraufgehender Schilderung eines grenzenlosen politischen und beinah auch menschlichen Elends:
     
    ... Schon fühlt' ich meinen Blick umnachtet,
    Da plötzlich zwang es mich empor,
    Es schlug, wonach ich längst geschmachtet,
    Wie Wellenrauschen an mein Ohr.
    Und siehe, daß gestillet werde
    Der Durst, woran ich fast verschied,
    Durchzog ein Strom die Wüstenerde,
    Und dieser Strom – es war
dein
Lied.
    Ich habe nicht genippt, getrunken
    Und seinen Wellenschlag belauscht,
    Ich bin in seine Flut gesunken
    Und habe drinnen mich berauscht etc.
     
    Wir kriegten unsre Manuskripte zurück, ohne daß die Verlagsbuchhandlung auch nur einen Blick hinein getan hätte. Wie konnte sie auch! Es brach eben damals eine Hochflut über sie herein. Und alles waren Worte, Worte, Worte.
    Trotzdem – und mit dieser vielleicht allweisen Betrachtung möcht' ich hier schließen – dürfen Regierungen über solche Zeiterscheinung nicht vornehm hinweggehn und all dergleichen mit der Bemerkung »elendes Phrasenwerk« abtun wollen. Es liegt den Regierungen vielmehr ob, sich die Frage vorzulegen, »ob dieser oft in ungewollte Komik verfallenden Phrasenfülle nicht
doch
vielleicht etwas sehr Beherzigenswertes zugrunde liegt?« Wie war damals die Situation? An das Hinscheiden Friedrich Wilhelms III. hatten sich Hoffnungen für die Zukunft geknüpft, und diese Hoffnungen erkannte man sehr bald als eitel. Die Sehnsucht nach anderen Zuständen und die tiefe, ganz aufrichtige Mißstimmung darüber, daß diese Zustände noch immer nicht kommen wollten,
das
war das durchaus Echte von der Sache, das war
das,
was Männer und Knaben gleichmäßig ergriff und durch die Phrasenhaftigkeit derer, die kindlich tapfer auf ihrer Weihnachtstrompete bliesen, nicht aus der Welt geschafft wurde.
     
Fünftes Kapitel
     
Krank. Aus der Hainstraße in die Poststraße. Mein Onkel August
    Ich hatte, fast durch ein Jahr hin, in meiner Leipziger Hainstraße sehr glückliche Tage verlebt. Da mit einem Male war es vorbei damit. Ich wurde krank: Gelenkrheumatismus, der, in seiner bekannten nahen Verwandtschaft zum Nervenfieber, nichts andres war als ein Wiederaufflackern des Typhus, den ich, gerade ein Jahr vorher, bei meinem Freunde Fritz Esselbach durchgemacht hatte. Dies periodische Wiederaufleben einer nicht ganz überwundenen Krankheit ist etwas sehr Übles, und ich bin davon beinahe dreißig Jahre lang immer aufs neue heimgesucht worden. Immer wieder, gegen den Ausgang des Winters, verfiel ich in nervenfieberartige Zustände, was mir viel Leid und jedenfalls viel Störung verursacht hat.
    Also ich wurde krank, etwa Mitte Februar, und lag da, von Schmerzen gequält, sechs, sieben Wochen lang auf meinem elenden Lager, mir und andern zur Pein, und hätte das Elend davon noch tiefer empfunden, wenn nicht eine seit etlichen Jahren ebenfalls in Leipzig lebende nahe Verwandte sich meiner angenommen und für allerhand Aufmerksamkeiten und kleine Zerstreuungen gesorgt hätte. Diese nahe Verwandte hieß »Tante Pinchen«. Als sich erst herausgestellt hatte, daß die Sache nicht leicht zu nehmen sei, kam die mir so wohlgesinnte Dame beinahe täglich in meine mehr als kümmerliche Krankenstube, brachte mir Apfelsinen und Gläser mit Gelee und, was noch wichtiger war, befreite mich durch stundenlange Plauderei von der entsetzlichen Langenweile, von der ich fast noch mehr als von den Schmerzen litt. Aus dem Namen »Tante Pinchen« könnte man nun vielleicht schließen, daß die sich meiner so freundlich annehmende Dame eine alte Jungfer gewesen sei, mit grauen

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