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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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beide schon einige Zeit in Berlin waren, er bei seinen Sanskritstudien, ich als Kaiser-Franz-Grenadier. Er wohnte damals drei Treppen hoch in einem Eckhause der Oberwall- und Rosenstraße – dicht an der Werderschen Kirche –, wo er sich bei einem Schuhmacher, sehr zu seiner Zufriedenheit, eingemietet hatte. Wenn nur nicht die Werkstatt nebenan gewesen wäre! Da ging den ganzen Tag das Lederklopfen, und Müller hätte wohl die Geduld verloren, wenn nicht, neben manch andrem, die wundervolle Aussicht gewesen wäre. Der ganze Stadtteil lag wie ein Panorama um ihn her, besonders die königlichen Gebäude mit ihren mit den prächtigsten Bäumen besetzten Parkgärten, die sich im Rücken und zur Seite des Prinzessinnen-Palais hinzogen. Da hinüberzublicken, das gab ihm wieder Trost, und er hielt aus. Er war damals schon stark ein »Werdender« und erfreute sich besonderer Auszeichnungen von seiten Friedrich Rückerts, der in jenen Jahren – wie bekannt, nur dem Wunsche des Königs nachgebend – an der Universität seine Vorlesungen hielt. In seinen – Rückerts – an die Spree gerichteten und hier nur aus dem Gedächtnis – also ungenau – wiedergegebenen Reimzeilen:
     
    Als Schwan trittst in Berlin du ein,
    Um auszutreten dann als Schw ...
     
    ergab sich sein eigentlichstes Empfinden. Er sehnte sich nach Neuses zurück, denn er war kein Mann für Residenz und Hof und vielleicht noch weniger für gefügige, dem Hofe zugeneigte Professoren.
    Müller übersetzte damals neben andrem Kalidasas »Wolkenboten«, und wenn ich Wolfsohn alles verdanke, was ich von Vor-Turgenjewscher russischer Literatur weiß, so Müller alles, was ich von Sanskritdichtung weiß. Es ist ein Glück, daß man kluge Freunde hat und daß der Verkehr mit ihnen dafür sorgt, daß einem ein bißchen was anfliegt.
    Sein nicht ironisches, aber liebenswürdig schelmisches Wesen, das er schon in Leipzig hatte, war ihm treu geblieben. Einmal kam ich in großer Aufregung zu ihm und sagte: »Müller, ich muß dir etwas vorlesen.« Er lachte ganz unheimlich, und als ich etwas verblüfft dreinsah, setzte er begütigend hinzu: »Du wunderst dich. Aber da ist nichts zu verwundern. Lenau, so hab' ich neulich gelesen, ist verrückt geworden. Und du hast natürlich gleich ein Gedicht darauf gemacht.« Es war wirklich so, und ich glaube, daß ich nicht mehr den Mut fand, ihm meine Dichtung vorzutragen. Bald danach verließ er Berlin und ging nach Paris und von da nach England. Dort war er viel im Bunsenschen Hause, wurde Vertrauensperson und kam, wohl durch Bunsens Einfluß, als Sanskrit-Professor nach Oxford. Da war er nun fast eingelebt, als ich ihn im Herbst 1855 in London wiedersah. Er nahm sich meiner gleich freundlich an, machte mich mit diesem und jenem bekannt und führte mich bei »Simpson« ein. Das war ein Dining-Room am Strand. Solch Eingeführtwerden in ein Speisehaus wird nun manchem Kontinentalen als etwas sehr Gleichgültiges erscheinen, für mich aber war es damals eine Sache von Bedeutung, eine Lebensfrage. Gehört man nicht einem Klub an, was sehr teuer und für einen nichtdistinguierten Fremden auch sehr schwierig ist, so weiß man in London, wo's dann gleich sehr tief sinkt, wirklich nicht recht, wo man essen soll. Wenigstens war es damals so. Da dirigierte mich denn Müller, und ich war gerettet.
    Er tat mir noch einen andren Liebesdienst. Davon ausgehend, daß englisches Leben viel Geld kostet und daß Deutsche nie viel Geld haben, bat er mich – diese Bitte war aber nur eine Verkleidung, eine Zartheit – , ihn bei einer Unterrichtskommission als Examinator im Deutschen vertreten zu wollen. Ich nahm es auch dankbar an, freilich zugleich zögernd, weil ich fühlte, daß ich als Examinator noch schwächer sein würde wie zeitlebens als Examinandus. Und so verlief es denn auch. Es war aber doch ein sehr interessanter Vormittag. In welchem Lokal sich alles abspielte, weiß ich nicht mehr, ich weiß nur noch, daß ich mit einem Male, nach Durchsicht zweier kleiner schriftlichen Arbeiten, einen jungen Herrn auf mich zukommen sah, der sich mir als Mr. Pennefather vorstellte. Sein Vater war General Pennefather, den ich aus den Zeitungen her sehr gut kannte, weil er vor Sebastopol eine Gardebrigade ruhmreich befehligt hatte. Der auf mich Zukommende hatte das reizendste Gesicht, aber eine etwas schiefe Schulter und einen allzu zarten Teint, der auf schwache Gesundheit schließen ließ. Er machte mir eine graziöse Handbewegung und sagte dann in

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