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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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East-India-Docks, zu verschaffen. Diese Keller sind Weinkeller von ungeheurer Ausdehnung, unterirdische Stadtteile mit langen, langen Straßen, an denen sich, statt der Häuser, mächtige, meist übereinandergetürmte Fässer hinziehen. In diese Keller stiegen wir hinab und sahen uns sofort mit jener Kulanz begrüßt, die dem englischen Geschäftsbetrieb eigentümlich ist und jede Berührung mit ihm so wohltuend macht. Gewiß, die Engländer sind Egoisten, ja, sind es unter Umständen, und zwar namentlich da, wo sie unter der Frömmigkeitsflagge segeln, bis zum Entsetzlichen; aber sie haben doch auch jenen
forschen
Egoismus, der zu geben und zu opfern versteht. Und nun gar erst pfennigfuchsende Kleinlichkeiten –
die
sind als unwürdig ausgeschlossen. In unserem Falle war es eine uns zuliebe mit Courtoisie durchgeführte »gefällige Fiktion«, daß wir vorhätten, Einkäufe zu machen, während doch jeder wußte, daß dies
nicht
der Fall sei und daß wir nur gekommen seien, um eine Londoner Merkwürdigkeit zu sehen und zugleich einen Frühstückstrunk zu tun. Das taten wir denn auch redlich. Die ganze Szene hatte was von Auerbachs Keller; wie dort der Tisch, so wurden hier die Fässer angebohrt. »Euch soll sogleich Tokaier fließen.« Uns aber floß Port und Sherry. Die Bohrer wurden ersichtlich derart eingesetzt, daß es ein schräges Bohrloch gab, durch das nun der rubin- oder topasfarbene Strahl in einem Bogen in die Weingläser fiel. Immer weiter stiegen wir in das Labyrinth der aufgetürmten Fässer hinein; die Küfer mit ihren Bergmannslampen unausgesetzt vor und um uns, und immer neue Strahlen sprangen und blitzten. Dabei war das Merkwürdige, daß wir – noch dazu ohne vorher eine solide Frühstücksgrundlage gelegt zu haben – anscheinend in guter Verfassung blieben und keine Spur von Rausch an uns wahrnahmen. Und so stiegen wir denn auch, immer noch fest auf den Füßen, die stiegenartige Treppe wieder hinauf. Aber nun kam es. Kaum draußen in frischer Luft, so waren wir unserem Schicksal verfallen und mußten froh sein, einen Cab zu finden, der uns in unserem Adelaïde-Hotel leidlich heil ablieferte.
    Damit schlossen unsere Londoner Abenteuer ab. Schon am anderen Morgen stiegen wir zu Schiff und waren zwei Tage darauf in Berlin zurück.
     
Drittes Kapitel
     
Wieder in Berlin. Letztes halbes Jahr bei »Franz«. Auf Pulvermühlwache
    Wir kamen mit einem Frühzug an. Wenige Stunden später meldete ich mich bereits bei meinem guten Hauptmann. Er ließ alle Dienstlichkeit fallen und sprach ganz menschlich zu mir, beinah väterlich.
    »Nun, lieber F., wie war es?«
    »Himmlisch, Herr Hauptmann.«
    »Glaub' ich ... Ja, London ... Ich habe auch mal hingewollt.«
    Er plauderte noch eine kleine Weile so weiter und sah mich dabei gütig und halb wehmütig an, mit einem Ausdruck, wie wenn er bei sich gedacht hätte: »Ja, der junge Mensch da ... wenn dies Jahr nun hinter ihm liegt, so liegt das Leben wieder vor ihm. Und schon jetzt war er drüben und hat ein Stück Welt gesehen und sich die Brust ausgeweitet. Und ich! Ich bin nun fünfundvierzig und komme nicht vom Fleck. Immer Rekruten und Vorstellung und Manöver. Und dann wieder Rekruten.«
    Er war loyal und preußisch und königstreu bis in die Fußspitzen. Aber solche Gedanken mochten ihm doch wohl öfter kommen, und er hatte auch Grund dazu. Denn seine Stellung war eingeengt und gedrückt. Dessen war ich selber einmal Zeuge. Wir machten, das ganze Bataillon, eine große Felddienstübung, ich glaube nach Tegel zu. Seit kurzem war ich Unteroffizier geworden und hatte mit einer Patrouille von drei oder fünf Mann irgendwas zu rekognoszieren. Um uns her lag Wald, und wir verliefen uns gründlich. Als wir uns dann schließlich, vielleicht auf Signalrufe hin, die wir aus der Ferne hören mochten, wieder herangefunden hatten, war schon alles vorbei und das ganze Bataillon zum Abmarsch fertig. Vor der Front hielt der Kommandeur, Major von Ledebur, der an des alten Wnuck Stelle gekommen war, ein schöner Mann, Gardeoffizier comme il faut. Ich marschierte mit angefaßtem Gewehr auf ihn zu, um meine Meldung abzustatten. Er hatte wohl von der verlorengegangenen Patrouille schon gehört und machte nicht viel davon, um so weniger, als er auf dem Punkte stand, über die stattgehabte Felddienstübung seine Schlußmeinung abzugeben. Im ganzen genommen hielt er sich in seiner Kritik innerhalb bestimmter Grenzen, als er aber der Führung der sechsten Kompanie gedachte, goß

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