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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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von Loos). Der auf diese Weise zur Meinungsäußerung Aufgeforderte war fast immer jemand, der als guter Kritiker galt, und nun folgte, wie dies überall der Fall, der bekannte Hammelsprung; alle sprangen nach, wenn nicht zufällig und meist sehr ausnahmsweise dieser oder jener den Mut hatte, der bestimmt abgegebenen Meinung ein bestimmtes anderes Urteil entgegenzusetzen. All das fand aber nur statt, wenn es sich um etwas »Reelles«, will also sagen um ein Gedicht von Scherenberg oder Lepel oder Eggers handelte; waren es »kleine Leute«, so wurden nicht viel Umstände gemacht und gleich ohne jede Motivierung zur Abstimmung geschritten. Die Tunnel-Schablone kannte nur vier Urteile: sehr gut, gut, schlecht und »verfehlt«. Letzteres war besonders beliebt. Von fünf Sachen waren immer vier verfehlt.
    Der Tunnel-Jargon, wie hier gleich noch eingeschaltet werden mag, war von erheblicher Ausdehnung und jedenfalls weit davon entfernt, sich auf »Späne« – als Bezeichnung für Beiträge – zu beschränken.
Die
Mitglieder beispielsweise, die ganz unproduktiv waren, hießen »Klassiker«, die Produktiven dagegen »Makulaturen«. Die Gäste hießen »Runen«, womit wohl ausgedrückt sein sollte, daß sie was Geheimnisvolles hätten, daß man noch nicht recht Bescheid mit ihnen wisse. Die Sammelbüchse, die beim Schluß der Sitzung klingelbeutelartig umging, hieß »eiserner Fonds«.
    Das Lokal für die Sitzungen wechselte ziemlich häufig, namentlich in den ersten Jahren. Später wurde man seßhafter, und drei dieser Lokale sind mir in Erinnerung geblieben: erst ein Hof- und Gartensalon in der Leipziger Straße, dann ein Vorderzimmer im »Englischen Hause«, zuletzt – und durch viele Jahre hin – ein großer Saal im »Café Belvedere«, einem jetzt eingegangenen Etablissement neben Opernhaus und katholischer Kirche. Hier erhielten wir auch einen Bilderschmuck, ich weiß nicht mehr in welcher Veranlassung. Hugo von Blomberg und Professor Stilke malten ein ziemlich großes Wandbild, das dem Lokal, auch als der Tunnel sich nicht mehr darin versammelte, zur Erinnerung an alte Zeiten erhalten blieb. Ich habe es da noch öfter gesehen. Was inzwischen daraus geworden, vermag ich ebenfalls nicht mehr anzugeben, würde es aber beklagen, wenn es verlorengegangen sein sollte. Denn es veranschaulichte sehr gut ein Stück Alt-Berlin. Einiges steht mir noch deutlich vor der Seele. Blomberg selbst, bloß in Trikot und mit einer Schärpe darüber, stand als Jongleur auf zwei Pferden, wohl um seine Doppeltätigkeit als Maler und Dichter zu veranschaulichen. Rechts neben ihm saß ich, in einem Douglas- oder Percy-Kostüm auf einem Wiegenpferde, und hatte meine Lanze gegen einen anderen Ritter, wahrscheinlich einen Balladenkonkurrenten, eingelegt. Wer dieser andere war, weiß ich nicht mehr. Mir zur Seite stand Merckel. Der war damals »Haupt«, weshalb ihn Blomberg in pontificalibus dargestellt hatte: Frack, Eskarpins und ein breites Tunnel-Ordensband – en crachat – über die Brust. Es wirkte sehr gut, aber doch zugleich auch komisch und anzüglich, weil Merckel, von Natur schon klein, durch eine Laune des Malers noch spindeldürre Beinchen erhalten hatte. Glücklicherweise war Kugler seitens des Festkomitees zu nochmaliger Inspizierung des Bildes abbeordert worden und bestand auf Beseitigung der dünnen Beinchen. »Ja, wie das machen?« fragte Blomberg. – »Das ist
Ihre
Sache,
so
geht es nicht.« Und schließlich fand sich auch ein Ausweg. Blomberg malte ein Riesentintenfaß über die beanstandeten Beine weg, so daß nur die halbe Figur mit dem roten Crachat aus dem Tintenfaß herauswuchs.
     
    Natürlich hatte der Tunnel auch seine Feste, die, gerade während der Zeit seiner Blüte, mit Regelmäßigkeit wiederkehrten: Faschingsfest, Stiftungsfest und ein Fest des Wettbewerbs oder der Preisdichtung. Letzteres eine Art Sängerkrieg.
    Das Faschingsfest bot meist nicht viel. An eines denke ich mit einer kleinen Verlegenheit zurück. Wir hatten in Gesellschaftsanzug zu erscheinen, aber uns zugleich mit einem Extrahemd auszurüsten, das, ich weiß nicht mehr auf welches Zeichen hin, plötzlich blusenartig angelegt und zum eigentlichen Kostüm des Abends werden sollte. Dieser Moment kam denn auch. Ich meinerseits mußte jedoch die ganze Sache nicht recht verstanden oder aber, durchaus irrtümlich, den Hauptzweck dieser Verkleidung in Anlegung eines büßerhaft »härenen Gewandes« erkannt haben; kurzum, ich hatte mich mit einem

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