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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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langen Nachthemd bewaffnet, das, weil kurz vorher erst aus der Truhe meiner Mutter hervorgegangen, noch ganz den Charakter frisch gewebter Alltagsleinewand und vor allem auch die damit verbundene Steifheit hatte. Dieser Zustand war mir nicht recht gegenwärtig, und als ich nun auf das gegebene Zeichen rasch und urkräftig mein Kommiß-Riesenhemd entfalten wollte, gab es einen dumpfen Knall, etwa wie wenn Dienstmädchen ein Tischtuch oder eine Bettdecke auseinanderschlagen, ein Knall, dem ein für mich etwas peinliches Lachen meiner Tunnel-Brüder auf dem Fuße folgte. Selbst die Artigsten stimmten mit ein. In Erwägung, daß sich's um eine Faschingssache handelte, konnte ich mich, wenn ich durchaus wollte, freilich als eine Art Sieger des Abends ansehen. Aber ich hätte diesen Sieg doch lieber nicht errungen.
    Die Fastnachtsfeste verliefen meist mäßig, desto hübscher waren die
Stiftungsfeste
. Diese fielen, wenn ich nicht irre, auf den 3. Dezember. Dann waren nicht nur Gäste geladen, sondern auch die dem Tunnel längst untreu gewordenen »alten Herren« erschienen noch einmal wieder und waren jung mit den Jüngsten. Selbst Mühler, wie bereits erzählt, als er schon Jahr und Tag Minister war und die Zeiten von »Grad aus dem Wirtshaus« längst hinter sich hatte, fehlte dann selten und bezeugte die ihm durch allen Wandel der Zeiten treu gebliebene liebenswürdige Natur. In der das jedesmalige Stiftungsfest einleitenden Sitzung suchten alle durch »Späne« ihr Bestes zu tun, und bei Tische lösten sich neue und alte Lieder ab. Unter den alten stand das von Rudolf Löwenstein gedichtete Tunnel-Lied obenan, dessen erste Strophe lautet:
     
    Zu London unter der Themse
    Der mächtige Tunnel liegt,
    Der Strom, scheu wie die Gemse,
    Hin über die Tiefe fliegt ...
     
    Wir waren, wenn wir das sangen, immer in sehr gehobener Stimmung, beinahe gerührt, und noch in diesem Augenblick bezaubert mich ein gewisses Etwas in diesen vier Zeilen, trotzdem ich sie, nüchtern erwogen, sehr anfechtbar finde. Wer die Londoner Themse gesehen hat, wird ihr alles mögliche nachrühmen können, nur nicht den Gemsencharakter und die Scheuheit. Aber sonderbar, es gibt in der Poesie so viele Wendungen, die trotz ihrer Mängel, ja vielleicht um derselben willen, einen immer wieder lebhaft erfreuen und sozusagen »Jenseits von Gut und Böse« liegen.
    Selbstverständlich, da der Tunnel auch Komponisten und Virtuosen zu seinen Mitgliedern zählte, kam es bei den Stiftungsfesten mehr als einmal zu musikalischen Aufführungen und Impromptus. Hierbei feierte vor allem Kapellmeister Taubert – Dittersdorf – seine Triumphe. Heinrich Seidel in seinem reizenden Buche »Von Perlin bis Berlin« hat über solche Klavierimprovisationen Wilhelm Tauberts berichtet. Es heißt da: »
Rothschild
und
Rossini
waren beinahe gleichzeitig gestorben, und ein Tunnelmitglied hatte ihnen bei der Festtafel einen witzigen Nachruf gehalten, indem er allerlei Parallelen zwischen diesen beiden großen ›R's‹ zog. Kaum war er damit fertig, so eilte Taubert an das Klavier, präludierte und begann eine entzückende Improvisation über die beiden Themen: ›Gold, ach Gold ist nur Schimäre‹ von Meyerbeer und Rossinis: ›Wünsche Ihnen wohl zu ruhen‹ aus dem Barbier von Sevilla. Es war entzückend, wie er die beiden Melodien durcheinanderflocht.«
    Die Stiftungsfeste, wie gesagt, waren gut, aber unser Bestes waren doch die Preisausschreibungen, die
Wartburg-Sängerfeste,
trotzdem die Damen fehlten und die Kränze. Wir waren prosaischer und zahlten bar, nachdem eine kurze Zeitlang »Ehrenbecher« und dergleichen verliehen worden waren, was sich aber nicht als praktisch erwies. Ich meinerseits siegte mehrere Male, bin dieser Siege jedoch, so sehr mich die Wettbewerbe selbst interessierten, nie recht froh geworden. Einmal – die Forderung ging dahin, daß das zur Konkurrenz zuzulassende Gedicht einen »Gast« als Hauptfigur auftreten lassen müsse – gewann ich den Preis mit einer Ballade, die sich in meinen gesammelten Gedichten unter dem Titel »Lord Athol« vorfindet. Ich war aber über meine Siegesberechtigung selber so zweifelsvoll, daß ich, als am selben Tage noch für die gerade damals in der Gründung begriffene Schiller-Stiftung gesammelt wurde, meinen ganzen Gewinn als erste Beisteuer einzahlte. Wieviel Renommisterei dabei mit im Spiele war, kann ich nachträglich nicht mehr feststellen.
    Das war Anno 59, als schon die Geldpreise Sitte geworden waren. Aber

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