Von Zwanzig bis Dreißig
Versuchung nicht widerstehen, hier bei dieser leider viel zuwenig bekannt gewordenen Strachwitz'schen Ballade noch einen Augenblick zu verweilen. König Robert Bruce liegt im Sterben, und weil er ein am Tage von Bannockburn von ihm geleistetes Gelübde, »gen Jerusalem zu ziehen«, nicht erfüllen konnte – »Es hat, wer Schottland bändigen will, Zum Pilgern wenig Zeit« –, so will er sich mit Gott dadurch versöhnen, daß sein
Herz
nach Jerusalem gebracht und dort bestattet werden solle, »damit es ruhig sei«. Zu diesem Zwecke läßt er denn auch durch einen seiner Boten den auf einem alten Douglas-Schlosse sitzenden Lord Douglas herbeirufen ... Und nun reiten beide, der Lord und der Bote, durch die Nacht hin zu dem sterbenden König.
Sie ritten vierzig Meilen fast,
Und sprachen Worte nicht vier,
Und als sie kamen vor Königs Palast,
Da bluteten Sporn und Tier ...
Und nun tut der sterbende König dem Douglas seinen letzten Willen, »daß sein Herz nach Jerusalem gebracht werde«, kund, und der Lord, als der König in selber Nacht noch hingeschieden, nimmt alsbald das Herz des Königs und tut es »in roten Sammt und gelbes Gold« und bricht auf. Aber ehe er Jerusalem und das heilige Grab erreichen kann, sieht er sich in der Wüste von speerwerfendem und »Allah!« rufendem Reitervolk angegriffen, und als ihm klar wird, daß sein Häuflein unterliegen und das Herz nicht die heilige Stätte finden werde, greift er zu dem letzten Mittel und wirft das Herz des Königs mitten in die Feinde hinein. Und nun beginnt ein Anstürmen, um das unter die Heiden geworfene Herz ihres Königs wiederzugewinnen.
Von den Heiden allen, durch Gottes Huld,
Entrann nicht Mann noch Pferd,
Kurz ist die schottische Geduld
Und lang ein schottisches Schwert.
Doch wo am dicksten ringsumher
Die Feinde lagen im Sand,
Da hatte ein falscher Heidenspeer
Dem Douglas das Herz durchrannt.
Und er schlief mit klaffendem Kettenhemd,
Und aus war Stolz und Schmerz,
Doch unter dem Schilde festgeklemmt
Lag König Roberts Herz.
Ich habe das immer wunderschön gefunden und find' es noch so bis diesen Tag, und daß es trotzdem so wenig volkstümlich geworden, das hängt mit unserer Anthologie-Fabrikationsmethode zusammen. Ein paar Ausnahmen gern zugegeben, schnappt es in diesen Sammelwerken immer mit Uhland und Umgegend ab. Und das nicht etwa, weil nichts anderes da wäre, sondern bloß, weil mit einer bequemen Tradition nicht gebrochen werden soll.
Ich darf dies aussprechen, weil ich – ein besonderes Glück – persönlich unter diesem Verfahren nicht zu leiden gehabt habe.
Drittes Kapitel
Franz Kugler. Paul Heyse. Friedrich Eggers. Richard Lucae. Wollheim da Fonseca
Franz Kugler, Paul Heyse, Friedrich Eggers, diese drei ruhten, auf den »Verein« hin angesehen, zur Zeit meines Eintrittes in den Tunnel noch in der »Zukunft Schoß«. Kugler wurde erst nach den Märztagen Mitglied, Eggers etwas früher. Heyse noch später als Kugler. Sie bildeten eine bestimmte Gruppe, die »Kugler-Gruppe«, die bis zu Heyses Abgang nach München – Herbst 1854 – eines großen Ansehens genoß, aber es trotzdem zu keinem rechten Wurzelschlagen im Tunnel-Herzen brachte, was übrigens auch kaum wundernehmen durfte. Sie hatten, vom Talent ganz abgesehen, viele Tugenden, aber gerade diese Tugenden erschwerten ein herzliches Einvernehmen; sie waren zu fein, zu professorlich, zu
sehr auf sich selbst gestellt.
Letzteres war wohl ausschlaggebend. Jede Gesellschaft verlangt vom einzelnen ein gewisses Aufgehen in den Ton, der eben herrscht, und wo dies Aufgehen ausbleibt, wo der berühmte – hier freilich nur drei Mitglieder zählende – »Staat im Staate« sich bildet, da kann von Einleben oder gar Intimität keine Rede sein. Ich komme darauf zurück.
Franz Kugler
Franz Kugler,
geboren 1808, war in seinen Tunnel-Tagen erst ein angehender Vierziger. Warum wir ihn trotzdem den »alten Kugler« nannten, weiß ich nicht recht, denn stattlich, grad aufrecht, von blühender Gesichtsfarbe, war der Eindruck, den er machte, eher jugendlich. Vielleicht war sein Sokrateskopf schuld, daß wir ihn an Jahren ohne weiteres erhöhten. Er hatte sehr früh Karriere gemacht und war zu der Zeit, von der ich hier spreche, schon Vortragender Rat im Kultusministerium, wenn ich nicht irre als Nachfolger von Eichendorff. Immer artig, immer maßvoll, immer die Tragweite seiner Worte wägend, kam in seinem Wesen etwas spezifisch Geheimrätliches,
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