Von Zwanzig bis Dreißig
Unberühmtere dagegen oder selbst völlig ungekannt Gebliebene mit einer gewissen Ausführlichkeit behandelt habe 5 . Manchem wird dies als eine Willkürlichkeit erscheinen. Ich bin aber durchaus wohlüberlegt dabei verfahren, davon ausgehend, daß die Berühmtheiten, sei's in eignen Memoiren, sei's in Kunst- und Literaturgeschichten, unter allen Umständen auf ihre Rechnung kommen, während die mit geringeren Chancen Ausgerüsteten um ebendeshalb hier einen Voranspruch erheben dürfen.
Ich beginne mit einer Berühmtheit, mit
Graf Strachwitz
Graf
Moritz Strachwitz.
Strachwitz – Götz von Berlichingen – war, als ich in den Sonntagsverein eintrat, schon in seine Heimatprovinz Schlesien zurückgekehrt, aber er lebte noch unter den Tunnel-Leuten, und wo drei zusammen waren, da war er Gegenstand der Unterhaltung. Wie sich in den letzten dreißig Jahren innerhalb des Tunnels alles um Scherenberg drehte, so während der kurzen Epoche von etwa 1840 bis 1843 alles um Strachwitz. Er war zu genannter Zeit nicht bloß Mittelpunkt des Vereins, sondern zugleich auch aller Stolz und Liebling. Nach allem, was ich über ihn, namentlich aus Bernhard von Lepels Munde, gehört habe, lag zu dieser ihm eingeräumten Stellung auch die vollste Berechtigung vor, denn er zählte zu den immer nur dünn Gesäten, die nicht bloß Dichter
sind,
sondern auch so
wirken.
Er war wie seine Lieder: jung, frisch, gesund, ein wenig übermütig, aber der Übermut wieder gesänftigt durch Humor und Herzensgüte. So kam es, daß nicht bloß ein engerer, sich aus Mühler, Friedberg, Merckel, Lepel, von Loos, Baron Budherg und Graf Henckel zusammensetzender Kreis dem in der Ferne Weilenden eine große Liebe bewahrte, sondern daß auch das Tunnel-Gros d'armée: Studenten und junge Kaufleute, von gleicher Anhänglichkeit erfüllt waren. Und von solcher Anhänglichkeit erfüllt erwies sich auch Strachwitz selbst, der seine Beziehungen nicht ohne weiteres abbrach, sondern brieflich im Verkehr mit dem Tunnel blieb. Er schickte Neues mit einer gewissen Regelmäßigkeit ein, und die Vorlesung davon nahm mehr als eine Sitzung in Anspruch. Dies setzte sich durch geraume Zeit hin fort, und wenn ich nicht irre, kamen auch die schönen Terzinen – sie bilden einen Zyklus –, die den Gesamttitel »
Venedig
« führen und das letzte sind, was er geschrieben hat, im Tunnel zum Vortrag.
Die fortdauernde Begeisterung für ihn äußerte sich auch darin, daß viel aus ihm zitiert wurde, was mir alsbald die Verpflichtung auferlegte, mich ebenfalls mit seinen mir bis dahin fremd gebliebenen Sachen bekanntzumachen. Ich lernte denn auch »Nun grüße dich Gott, Frau Minne«, den »Gefangenen Admiral«, die »Jagd des Moguls« etc. auswendig und war bald einer der Eifrigsten in der Strachwitz-Gemeinde. Daß ich – wie mir's sonst wohl mit meinen literarischen Jugendlieben geht – bei diesem Eifer ausgedauert hätte, kann ich freilich nicht sagen. Ich hielt etwa zwanzig Jahre lang enthusiastisch daran fest, aber seit etwa einem Menschenalter ist mir der Sinn für das Strachwitzische doch mehr oder weniger verlorengegangen. Es ist alles sehr talentvoll und besonders sehr klangvoll, aber zugleich tritt es doch zu pausbackig auf und hat viel weniger von Originalität, als es mir vordem erschien. Es ist alles virtuos Freiligrathisch gehalten, noch mehr aber darf man ihn einen auf die Kehrseite gefallenen Herwegh nennen. Was Herwegh demokratisch vorsang, sang Strachwitz aristokratisch nach. Der Grundton, natürlich nur auf das rein Dichterische hin angesehen, ist sehr verwandt.
Ich würde mit diesem Bekenntnis hier wahrscheinlich zurückgehalten haben, wenn ich nicht
einem
der Strachwitz'schen Gedichte meine Treue bewahrt hätte, und zwar so ganz und so stark, daß dadurch alle meine Untreue gegen ihn wieder aufgewogen wird. Um
eines
Stückes willen geliebt werden, aber nun auch gründlich, ist das Schönste, was einem Dichter zuteil werden kann. Ich brauche bloß Bürger und seine »Lenore« zu nennen. Da kann nichts gegen an. Ähnlich liegt es mit Strachwitz und seinem »Herz von Douglas«. Es zählt zu dem Schönsten, was wir überhaupt haben, und wenn ich mir dann vergegenwärtige, daß der Tunnel
zwei
solcher Prachtgedichte hervorgebracht hat, erst den »Verlornen Sohn« von Scherenberg – ein Gedicht, das den ganzen übrigen Scherenberg aufwiegt – und dann das »Herz von Douglas«, so darf man sagen: »Dieser Tunnel hat nicht umsonst gelebt.«
Ich kann der
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