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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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anzubieten vermochte; denn dieser Mittelzustand, in dem ich mich noch immer befinde, ist der Produktionsfähigkeit nicht eben zuträglich. Man hat mir nämlich noch immer nicht erlaubt, meine Probezeit anzutreten. Nach Privatmitteilung ist auch dazu erst eine Vorlage im Kabinett des Königs nötig, und die armen schleswig-holsteinischen Expeditionen sollen oft lange liegen. Daß mein Gesuch vom Kabinettssekretär dem Ministerium überreicht worden, scheint die Sache nicht zu beschleunigen.
    Es ist heute der Jahrestag der Idstedter Schlacht, der auch diesmal von Militär und Polizei wegen feierlich begangen wird; die dänische Regimentsmusik mit den »tappern Landsoldaten« zieht durch die Gassen, Jungens und Gesindel hinterdrein; allen Gastwirten ist bei Strafe, daß sonst nicht länger als 6 Uhr geschenkt werden dürfe, geboten, Tanz zu halten. Viele finden sich dazu freilich nicht ein; aber man weiß, wie es geht; der eine fürchtet, die Kundschaft der flott lebenden dänischen Beamtenschaft zu verlieren, der andere hat die Furcht im allgemeinen, der dritte will den befreundeten Wirt nicht stecken lassen. Und zuletzt ist zuzugestehen, keine Bevölkerung im großen und ganzen hat auf die Dauer Lust, für ihre Überzeugung zum Märtyrer zu werden. So machen sie denn ihren Bückling und knirschen heimlich mit den Zähnen.
    So dankbar man im Grunde der dänischen Regierung sein sollte, daß sie durch diese Brutalität das Gedächtnis
unserer
historischen Unglückstage so unauslöschlich den Herzen der besseren deutschen Bevölkerung einätzt, so ist es doch ein Gefühl zum Ersticken, ohnmächtig und stumm dies gegen die Bevölkerung angewandte Demoralisationssystem mit ansehen zu müssen.
    Doch wie geht es Ihnen? Sie sind krank, nicht in Berlin. Hoffentlich werde ich, falls ich im August dorthin kommen sollte, Sie sehen! – Der Artikel in der »Preußischen Zeitung« ist mir durch den Drucker zugegangen, und ich sage Ihnen meinen aufrichtigen Dank, daß Sie sich die Mühe gemacht haben, das, was Sie über meine Sachen denken, auch einmal schriftlich und öffentlich auszusprechen. Mörike, dem ich seinerzeit meine »Sommergeschichten« geschickt hatte, erwiderte dies neulich durch Zusendung seines »Hutzelmännleins« und schrieb mir bei der Gelegenheit, das »Von den Katzen« habe er bald auswendig gewußt und schon manchen damit ergötzt. Neulich habe er jemand gefragt: »Von wem ist das?« und darauf, als verstünde es sich von selbst: »Nu, von Dir!« zur Antwort erhalten. Merkwürdigerweise erhielt ich diese Antwort um nur zwei Tage später als Ihren Artikel, worin Sie meine Muse aus Mörikes Pfarrhause kommen lassen. Gewiß haben Sie recht, wenn Sie mich – im übrigen sans comparaison mit diesen beiden großen Lyrikern –
zwischen
Mörike und Heine stellen, denn wenn ich auch mit Mörike die Freude am Stilleben und Humor, mit beiden annäherungsweise die Simplizität des Ausdrucks gemein habe, so rückt mich doch die große Reizbarkeit meiner Empfindung wieder näher an Heine.
    Dies war Storms letzter Brief aus Husum, kurz vor seiner Übersiedlung nach Preußen. Ehe er aufbrach, schrieb er noch eines seiner schönsten Gedichte »
Abschied
«:
     
    Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen,
    Wozu das Herz den vollen Schlag verwehrt;
    Die Stunde drängt, gerüstet steht der Wagen,
    Es ist die Fahrt der Heimat abgekehrt.
     
    Er führt das weiter aus, wendet sich dem und jenem zu und schließt dann:
     
    Wir scheiden jetzt, bis dieser Zeit Beschwerde
    Ein andrer Tag, ein besserer, gesühnt,
    Denn Raum ist auf der heimatlichen Erde
    Für Fremde nur und was dem Fremden dient.
     
    Und du, mein Kind, mein jüngstes, dessen Wiege
    Auch noch auf diesem teuren Boden stand,
    Hör mich, denn alles andere ist Lüge,
    Kein Mann gedeihet ohne Vaterland.
     
    Kannst du den Sinn, den diese Worte führen,
    Mit deiner Kinderseele nicht verstehn,
    So soll er wie ein Schauer dich berühren
    Und wie ein Pulsschlag in dein Leben gehn.
     
    Es steht das alles auf vollkommen dichterischer Höhe. Man hat sich daran gewöhnt, ihn immer nur als Erotiker anzusehen; aber seine vaterländischen Dichtungen stehen ganz ebenbürtig neben seiner Liebeslyrik, wenn nicht noch höher. Alles hat was zu Herzen Gehendes, überall das Gegenteil von Phrase, jede Zeile voll Kraft und Nerv.
    Storm, als er Husum schon verlassen, nahm – wie wenn er sich von seiner heimatlichen Erde nicht habe losreißen können – noch eine mehrmonatliche Rast

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