Von Zweibeinern und Vierbeinern
es galten dieselben Regeln. Und wenn ich die Symptome nicht erkannte, konnte es geschehen, daß Schweine von diesem Hof zum Markt gebracht und dort an Bauern verkauft wurden, deren Höfe überall liegen konnten. Und jedes Schwein würde die Infektion in sich tragen und die gesunden Tiere mit der unheilbaren Krankheit anstecken. Dann würde das Landwirtschaftsministerium alarmiert werden und man würde die Spur der Seuche verfolgen, bis hin zu Dr. Herriot, dem Mann, der diesen unverzeihlichen Fehler gemacht hatte.
Es war ein ewiger Alptraum! Denn im Gegensatz zur Maul- und Klauenseuche war dies eine weitverbreitete Krankheit, auf die man überall gefaßt sein mußte. Ich habe manchmal gedacht, wie glücklich ich gewesen wäre, wenn es Krankheiten wie die Schweinepest nicht gegeben hätte. Und wenn ich zurückdenke an den Kummer, den sie den Bauern und meinen Kollegen und mir gemacht hat, meine ich, daß die heutigen Tierärzte sich jeden Morgen glücklich preisen und lauthals singen sollten: »Hurra, hurra, die Schweinepest ist nicht mehr da!«
Auf dem Hof führte mich Lionel zu einer Box am äußersten Ende des Stalls.
»Da sind sie«, sagte er schwermütig.
Ich lehnte mich über die Mauer, und eine Welle von Schmerz durchflutete mich. Es waren etwa ein Dutzend junger Schweine in der Box, etwa sechzehn Wochen alt, und alle hatten die gleichen Symptome.
Sie waren dünn und sahen faltig und verkümmert aus, die Rückseite ihrer Ohren war dunkelrot, und sie taumelten leicht, wenn sie liefen. An ihren schlaff herabhängenden Schwänzen lief flüssiger Kot entlang. Ich maß bei einigen die Temperatur. Über vierzig Grad.
Es war ein klassischer Fall – genau wie im Buch. Aber ich sagte es Lionel nicht gleich. Ich durfte es ihm auch nicht sagen, solange ich nicht das ganze Ritual hinter mir hatte.
»Woher haben Sie den Wurf?«
»Vom Markt in Haverton. Es war ein richtig guter Wurf, alle kerngesund, als sie hierher kamen, aber seither ist es mit ihnen abwärts gegangen.« Er stieß das kleine tote Tier mit der Spitze seines Gummistiefels an. »Und jetzt ist eins schon tot.«
»Ja... Also, ich muß es öffnen, um feststellen zu können, woran es gestorben ist, Lionel.« Meine Stimme klang müde. »Ich hole eben mal das Messer aus dem Wagen.«
Ich kam mit meinem Seziermesser zurück, rollte das tote Schwein auf den Rücken und schnitt ihm den Bauch auf. Wie oft hatte ich das schon getan – und immer mit bösen Vorahnungen!
Der Bereich des Blinddarms war die Stelle, auf die in Büchern besonders hingewiesen wurde, und dort fing ich an. Aber als ich so die Gedärme freilegte, fand ich nur Blutungen und kleine nekrotische Punkte, manche dunkelrot, andere gelblich.
Manchmal saßen die Stellen im Dickdarm. Ich schnitt mit meiner Schere im Gewirr der Därme herum, fand aber nichts Eindeutiges.
Da saß ich nun. Ich war überzeugt, daß es Schweinepest war, aber ich konnte es dem Bauern nicht sagen. Das Ministerium behielt sich das Recht der Diagnose vor, und solange es den Verdacht nicht bestätigt hatte, durfte ich nichts sagen.
Ich fand die typischen Petechialblutungen in den Nieren und in der Blase vor, aber nicht eine einzige der typischen erhabenen Stellen.
Ich hockte mich hin. »Lionel, es tut mir sehr leid, aber ich muß es als möglichen Fall von Schweinepest melden.«
»O Gott, das ist was Schlimmes, nicht wahr?«
»Ja... ja, das stimmt. Aber wir können nichts Genaues sagen, ehe das Ministerium es nicht bestätigt hat. Ich entnehme ein paar Proben und schicke sie an das Laboratorium in Surrey.«
»Und können Sie nichts tun, um den Tieren zu helfen?«
»Nein, es tut mir leid. Es ist ein Virus, verstehen Sie? Und wir können nichts dagegen tun.«
»Und was ist mit den anderen? Ist es ansteckend?«
Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich nicht hätte antworten müssen, aber ich konnte die Sache nicht herunterspielen. »Ja, es ist ansteckend. Sie müssen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Stellen Sie einen Trog mit einem Desinfektionsmittel vor die Box und treten Sie mit den Stiefeln hinein, ehe Sie in die Box gehen oder wenn Sie wieder herauskommen. Ich an Ihrer Stelle würde so wenig wie möglich hineingehen. Geben Sie ihnen das Futter und das Wasser von oben, und passen Sie auf, daß die gesunden Schweine immer zuerst fressen.«
»Und was ist, wenn meine anderen Schweine es auch bekommen? Wie viele werden dann sterben?«
Eine weitere schreckliche Frage. Den Büchern zufolge starben in solchen Fällen 80
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