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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Dampfkähne, kleinere Segelschiffe und Ruderboote sowie elegante Passagierdampfer, deren seitliche Antriebsräder bunt verkleidet waren. Am Nordufer thronte die Kathedrale von St. Paul. Mit ihrem auffälligen Kuppeldach schien sie über die unzähligen kleineren Kirchen zu wachen, deren Türme im Wettstreit mit den zahlreichen Fabrikschloten in den Himmel ragten. Im Vordergrund sah Celia einen weiteren Bahnhof, dessen riesiges Gewölbe aus Stahl und Glas von zwei steinernen Türmen flankiert war.
    Auch auf der Ostseite war der Anblick atemberaubend. Unweit des Towers, den Celia zum ersten Mal sah, dessen Aussehen ihr jedoch von Bildern und Postkarten vertraut war, wurde eine weitere Brücke gebaut, die sich jedoch merklich von den übrigen unterschied. Es handelte sich, soweit sich das trotz der Baugerüste und hölzernen Verkleidungen sagen ließ, um eine mehrstöckige Zugbrücke, deren untere Fahrbahn in der Mitte hochgeklappt werden konnte, um den größeren Schiffen die Durchfahrt zu den westlich gelegenen Hafenanlagen zu ermöglichen.
    Beim vertrauten Anblick der Frachter und Handelsschiffe, die an den Kais vertäut waren und deren Schlote, Masten und Takelagen in Celia ein unerwartetes Heimatgefühl weckten, dachte sie plötzlich an ihren Vater, dem sie womöglich noch an diesem Abend gegenüberstehen würde. In Gedanken versunken schlenderte sie weiter.
    Celia war acht Jahre alt gewesen, als Ned Brooks seine Familie verlassen und jeden Kontakt zu seiner Frau und den drei Kindern abgebrochen hatte. Er war nach Southampton gegangen, wie Celia inzwischen wusste, und hatte von dort die Welt umsegelt, während sich seine Familie in Essex mehr schlecht als recht über Wasser gehalten hatte. Celia besaß nur eine vage Erinnerung an ihren Vater, zu dessen Verschwinden ihre Mutter hartnäckig jeden Kommentar verweigert hatte. Wenn die Kinder nach ihm gefragt hatten, hatte sie lediglich geantwortet: »Mr. Brooks ist nicht mehr euer Vater. Findet euch damit ab! Es gibt ihn nicht mehr. Und damit Ende!«
    Irgendwann hatten die Kinder aufgehört, nach dem Vater zu fragen. Sie waren wahrlich nicht die einzigen vaterlosen Sprösslinge in Brightlingsea. Nur drei Jahre nach Neds Verschwinden war beinahe die Hälfte der Fischereiflotte des Ortes in einem gewaltigen Sturm vor der Nordseeinsel Terschelling zugrunde gegangen. Über zwanzig Seeleute hatten in nur einer Nacht ihr Leben gelassen. Ob ihr Vater nun wie die anderen Männer beim Austernfang ertrunken oder aus unerfindlichen Gründen das Weite gesucht hatte, das machte für die Kinder letzten Endes keinen Unterschied. Es gab den Vater nicht mehr und damit Ende!
    Mit der Zeit war das Bild, das Celia von Ned Brooks gehabt oder sich zurechtgelegt hatte, verblasst. Sie erinnerte sich an seine stattliche Figur, an den üppigen Rauschebart, die hohe Stirn und die dunklen Haare, die ihm in Locken bis auf die Schultern fielen, doch wenn der Vater ihr in diesem Augenblick entgegengekommen wäre, hätte Celia ihn vermutlich nicht erkannt. Es gab kein Porträt von ihm; das vergilbte Familienfoto, das Celia im Koffer mit sich herumtrug, war erst einige Jahre nach Neds Verschwinden aufgenommen worden. Manchmal kam es Celia so vor, als hätte sie niemals einen Vater besessen. Er hatte keine sonstigen Verwandten in Brightlingsea zurückgelassen, und enge Freunde schien er auch nicht gehabt zu haben. Nie redete jemand über ihn oder nannte ihn auch nur beim Namen. Gerade so, als brächte es Unglück, ihn zu erwähnen. Und wenn die Mutter aus irgendwelchen Gründen gezwungen war, den Kindern gegenüber von ihm zu sprechen, so nannte sie ihn nicht »Ned« oder »euer Vater«, sondern immer »Mr. Brooks«. Wie einen völlig Fremden.
    Deshalb war Celia so überrascht, als die Mutter ihr auf dem Sterbebett plötzlich ins Ohr flüsterte: »Hüte dich vor deinem Vater, mein Kind!«
    »Wie soll ich mich vor ihm hüten«, antwortete Celia erschrocken, »wenn ich gar nicht weiß, wo er steckt? Und ob er überhaupt noch lebt.«
    »Wo soll er schon stecken?«, rief die Mutter im Fieber und starrte Celia mit glühenden Augen an. »Vermutlich hockt er in irgendeiner Kaschemme in Southampton, mit einer Hure auf dem Schoß und einer Flasche Brandy in der Hand!«
    Mary Brooks hatte die letzten Tage vor ihrem Tod fast durchgängig im Delirium gelegen. Durch das hohe Fieber war sie die meiste Zeit kaum bei Bewusstsein, und wenn sie zwischendurch plötzlich die Augen geöffnet und zusammenhangsloses Zeug

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