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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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Lebensmittelladens.
    »Hier lang«, sagt Randall und führt uns in eine der Seitenstraßen, weg von der ruhigen offenen Fläche des Meers. »Hier.«
    Er springt auf die Betonplatte hinter einer ehemaligen Bank, von der nur noch der Safe steht, so groß wie ein Fahrstuhl, in der Mitte eines Sockels, und bückt sich, um in die Betonspalten zu schauen.
    »Guckt mal.«
    »Das Spirituosengeschäft«, sagt Big Henry.
    »Für Daddy«, sagt Randall, und dann knien wir uns alle hin und balancieren auf den wackligen Platten herum, schauen unterBretter, finden Scherben von Weinflaschen, Wodka und Gin, die an versteckten Stellen rot, dunkelblau und lila aufblitzen. Ich finde eine heile, limettengrüne Flasche Mad Dog. Randall findet eine orangefarbene. Big Henry findet eine rote, und eine kleine Flasche Gin. Junior zeigt mit dem Finger, und Randall zieht eine Riesenflasche Wodka hervor. Big Henry schiebt sich zwei Flaschen Mad Dog in seine Hosentaschen, ich schiebe den Gin und die orangefarbene Flasche Mad Dog in Randalls Hose, und er hakt seine Daumen unter die Gürtelschlaufen, damit die Hose nicht rutscht. Big Henry schnappt sich den Wodka. Ich hocke mich hin und spähe noch einmal in die heißen Betonspalten, um etwas zu finden, das ich Skeet mitbringen kann, etwas, das mir hilft, ihm von dem zu erzählen, was wir hier vorgefunden haben, aber es ist nichts weiter da außer kaputten Flaschen, zerknautschten Schildern und zersplittertem Holz. Alles Müll.
    Big Henry hockt sich neben mich. Randall zeigt in Richtung Straße, will Junior etwas zeigen, vielleicht, wo die Bücherei war, die er mal mit der Schule besucht hat.
    »Ich hab gehört, was du gesagt hast. Als du mit deinem Daddy geredet hast.«
    Ich muss es Skeetah so genau wie möglich erzählen, und er muss die Augen zumachen und einen Moment lang nicht an China denken, sondern zuhören, wenn ich ihm die Geschichte von Katrina und dem, was sie mit der Küste gemacht hat, erzähle.
    »Wer’s der Daddy?«, fragt Big Henry. In seinen Augen blitzt kein Feuer, kein brennendes Eis wie in Mannys. Da ist nur Wärme, wie der Sonnenschein an besonders schönen Herbsttagen, wenn die wenigen Blätter anfangen, ihre Farbe zu verlieren, und die Luft klar und wolkenlos ist.
    »Es hat keinen Daddy«, sage ich. Ich nehme eine Scherbe in die Hand, blau-weiß gemasert und an den Rändern abgestumpft, dann noch eine rote und ein Stück von einem rosafarbenen Ziegelstein.Ich schiebe alle drei Teile in meine Hosentasche. Wie Skeetah mir die Geschichte von den letzten Worten erzählt hat, die Mama zu uns gesagt hat, so werde ich ihm das hier erzählen.
Dies war eine Schnapsflasche
. Werde ich sagen.
Und das hier, das war ein Fenster. Und dies ein Gebäude
.
    »Stimmt nicht«, sagt Big Henry. Er schaut zur Seite, als er das sagt, hinaus auf den grauen Golf. Da draußen im flachen Wasser steht ein Auto. Das Dach glänzt rot. »Dieses Baby hat einen Daddy, Esch.« Er reicht mir seine große weiche Hand, die vermutlich genauso weich ist wie seine Füße, und hilft mir hoch. »Dieses Baby hat jede Menge Daddys.«
    Ich lächele mit angespannten Wangen. Meine Augen fühlen sich feucht an. Ich schlucke Salz.
    »Vergiss nicht, dass du immer noch mich hast«, sagt Big Henry.
    Ich umklammere die Steine in meiner Tasche so fest, dass es wehtut. Ich wünschte, ich könnte zu Big Henry sagen:
Ich wünschte, du wärst da gewesen, als das Wasser kam, du mit deinen großen Händen, deinen Beinen wie Baumstämme, die fest in der Erde stecken.
Ich gehe vor, führe ihn über die zerstörte Fläche zu Randall und Junior, die uns entgegenblicken.
    Ich werde die Scherben und den Stein an eine Schnur binden und über mein Bett hängen, sodass sie im Dunkeln glitzern und von Katrina erzählen, der Mutter, die über den Golf gekommen ist und gemetzelt hat. Ihr Wagen war ein Sturm so groß und schwarz, dass die Griechen sagen würden, er war hinter Drachen gespannt. Sie war die mörderische Mutter, die uns bis auf die Knochen gequält hat, uns aber am Leben ließ, uns nackt und verschreckt zurückließ wie neugeborene Babys, wie blinde Welpen, wie sonnenhungrige, frisch geschlüpfte Schlangenbabys. Sie hinterließ uns einen dunklen Golf und salzverbranntes Land. Sie ließ uns zurück, damit wir kriechen lernen. Sie ließ uns zurück, damit wir uns retten. Katrina ist die Mutter, an die wir uns erinnern werden,bis die nächste blutrünstige Mutter mit großen, erbarmungslosen Händen kommt.
    Skeetah hat dort, wo einmal

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