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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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Unterseite des Hauses. Junior zog seine Shorts hoch. Daddy gestikulierte noch mal, und Junior ging in die Hocke und kroch unter das Haus. Er hatte da unten keine Angst, im Gegensatz zu mir, als ich klein war. Junior verzog sich manchmal den ganzen Nachmittag zwischen die Betonblöcke, auf denen das Haus steht, und kam erst wieder heraus, wenn Skeetah drohte, er würde China unters Haus schicken, um ihn zu holen. Einmal habe ich Junior gefragt, was er da unten macht, und er hat nur gesagt, er spielt. Ich stellte mir vor, wie er sich Schlafmulden grub, so wie Hunde es machen, und dann auf dem Rücken in der roten Erde lag und zuhörte, wie unsere Füße über ihm über die Dielen schabten und schlurften.
    Junior machte seine Sache gut; Flaschen und Dosen kullerten unter dem Haus hervor wie Billardkugeln. Sie blieben liegen, sobald sie an die rostige Vieh-Badewanne stießen, die Daddy von dem Schrottplatz mitgebracht hat, wo er immer Altmetall abliefert. Er hat sie Junior letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt und gemeint, er könne sie als Swimmingpool benutzen.
    »Los, wirf«, sagte Randall. Er saß auf einem Stuhl unter seinem selbstgebastelten Basketballkorb, einem Rahmen, den er aus dem Stadtpark geklaut und an den Stamm einer abgestorbenen Kiefer geschraubt hatte.
    »Hat uns doch seit Jahren nix getroffen. Die komm’ hier nich mehr durch, nie. Als ich klein war, schon, da ham wir’s immer abgekriegt.« Manny war da. Ich stellte mich an den Rand des Schlafzimmerfensters; ich wollte nicht, dass er mich sieht. Manny warf einen Basketball von einer Hand in die andere. Bei seinem Anblick brach der Panzer meines Brustkorbs auf, und mein Herz wollte ausfliegen.
    »Du tust ja, als wärst du uralt – dabei biste grad mal zwei Jahreälter als ich. Als wüsste ich nich, wie’s früher war«, sagte Randall, während er den Rebound fing und zu Manny zurückwarf.
    »Wenn uns diesen Sommer was trifft, werden höchstens ein paar Äste runterkommen. Die in den Nachrichten wissen doch gar nich, wovon sie reden.« Manny hatte lockiges schwarzes Haar, schwarze Augen und weiße Zähne, und seine Haut hatte die Farbe des frisch geschnittenen Holzes im Herzen einer Kiefer. »Jedes Mal, wenn sie in Bois Sauvage einen verhaften, berichten sie was Falsches.«
    »Das sind Journalisten. Der Wettertyp is
Wissenschaftler
«, sagte Randall.
    »Ein Scheiß ist der.« Von da, wo ich stand, sah es so aus, als würde Manny rot werden, aber ich wusste, er hatte Pickel bekommen, und das andere war die Narbe in seinem Gesicht.
    »Und ob da was auf uns zukommt.« Daddy fuhr mit einer Hand an der Seite seines Pick-ups entlang.
    Manny rollte die Augen und streckte Daddy einen Daumen entgegen. Er warf. Randall fing den Ball und hielt ihn fest.
    »Bis jetzt gibt’s noch nicht mal ein tropisches Sturmtief«, sagte Randall zu Daddy, »und du lässt Junior mit Schnapsflaschen kegeln.«
    Randall hatte recht. Normalerweise füllte Daddy einfach ein paar Wasserkanister. Konserven waren das einzige Essen, das Daddy zubereiten konnte, daher hatten wir immer Wiener Würstchen und Schmalzfleisch im Haus. Wir aßen jeden Tag Instant-Nudeln: bereiteten sie als Suppe zu, mit Hot Dogs, gossen die Flüssigkeit ab, sodass sie wie scharfe Pasta schmeckten; trocken waren sie wie Cracker. Das letzte Mal, als ein schlimmer Sturm uns direkt getroffen hatte, war Mama noch am Leben gewesen; nach dem Sturm hatte sie das ganze Fleisch aus der still gewordenen Gefriertruhe gegrillt, damit es nicht verdarb, und Skeetah hatte so viele Chiliwürstchen gegessen, dass ihm schlecht wurde.Randall und ich hatten uns um das letzte Kotelett geprügelt, bis Mama uns auseinanderzerrte, während Daddy nur lachte und sagte:
Sie kommt schon klar. Hab dir gleich gesagt, das wird ne Kratzbürste, so klein und dürr, wie sie ist – kommt ganz nach dir.
    »Dieses Jahr ist es anders«, sagte Daddy und setzte sich hinten auf den Kofferraum. Einen Augenblick lang sah er nicht betrunken aus. »Die im Radio ham recht: jede Woche ein neuer Sturm. So schlimm war’s noch nie.« Manny warf noch mal auf den Korb, und Randall lief dem Ball nach.
    »Ich spür’s in den Knochen«, sagte Daddy. »Ich weiß, wenn was kommt.«
    Ich band mir das Haar zum Pferdeschwanz. Das war das einzig Gute an mir, das, was auffiel, wie ein weißer Dobermann: ich hatte Korkenzieherlocken; schwarz, schlapp, wenn sie nass wurden, aber trocken so üppig wie ein Haufen ausgefranster Seile. Mama ließ mich immer mit offenen

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