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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Gesichtsausdruck, der über die Wahrheit seiner Versicherung die gegründetsten Zweifel erlaubte.
    Kathinka trat einen Schritt vor. Sie trug ein weißes Gewand, an dem sich die Drapierungskunst Demoiselle Alcestens glänzend bewährt hatte, und stemmte ein hohes, grüneingebundenes Notenbuch – auf dessen beide Deckel eine Abschrift der zu sprechenden Strophen aufgeklebt worden war – mit ihrer Linken gegen die Hüfte. Die Rechte führte den Griffel. So sah sie einer Klio ähnlicher als einer Melpomene. Ruhig, als ob die Bretter ihre Heimat wären, das Auge abwechselnd auf die Versammlung und dann wieder auf das aushelfende Notenbuch gerichtet, sprach sie:
     
    »Ihr kennt mich! Einst ein Götterkind der Griechen,
    Irr ich vertrieben jetzt von Land zu Land,
    Und Unkraut nur und Moos und Efeu kriechen
    Hin über Trümmer, wo mein Tempel stand;
    Ach oft in Sehnsucht droh ich hinzusiechen
    Nach einem dauernd-heimatlichen Strand –
    Raststätten
nur noch hat die flücht'ge Muse,
    Der liebsten eine hier, hier in Schloß Guse.
    Und fragt ihr nach dem Lose meiner Schwestern?
    Die meisten bangen um ihr täglich Brot,
    Thalia spielt in Schenken und in Nestern,
    Und gar Terpsichore, sie tanzt sich tot:
    So schritt ich einsam, als sich mir seit gestern
    In meinem Liebling der Gefährte bot,
    Ihr kennt ihn, und herzu zu diesem Feste
    Bring ich das beste, was ich hab:
Alceste

     
    Hier unterbrach sie sich einen Augenblick, wandte mit vieler Unbefangenheit das Notenbuch um, so daß der Rückdeckel, auf dem die Schloßstrophe stand, nach oben kam, und fuhr dann fort:
     
    »Sie wünscht euch zu gefallen. Ob's gelinget,
    Entscheidet
ihr
; die Huld macht stark und schwach;
    Und wenn ihr Wort euch fremd im Ohre klinget,
    Dem Fremden eben gönnt ein gastlich Dach.
    Empfanget sie, als ob ihr
mich
empfinget,
    Ihr Vitzewitze, Drosselstein und Krach,
    Mein Sendling ist sie, wollt ihm Beifall spenden,
    ›Ich habe keinen zweiten zu versenden.‹«
     
    Die Gardine fiel. Lebhafter Beifall wurde laut, am lautesten von seiten Rutzes, der einmal über das andere versicherte, daß er nun völlig klarsehe und Faulstich bewundere, der dies wieder so fein eingefädelt habe. Der einzige, der bei dem kleinen Triumphe Kathinkas in Schweigen verharrte, war Lewin. Die Sicherheit, mit der sie die nur flüchtig gelernten Strophen vorgetragen hatte, hatte ihn inmitten seiner Bewunderung auch wieder bedrückt. »Sie kann alles, was sie will«, sagte er zu sich selbst; »wird sie immer wollen, was sie soll?«
    In dem Reichbeanlagten ihrer Natur, in dem Übermut, der ihr daraus erwuchs, empfand er in schmerzlicher Vorausahnung, was sie früher oder später voneinander scheiden würde.
    Die Pause war um, die Violinen intonierten leise, nur um anzudeuten, daß die nächste Nummer im Anzuge sei. Aller Blicke richteten sich auf den Zettel: »Scènes prises de Guillaume Tell. Erste Szene: Cléofé, épouse de Tell, s'adressant à son mari.« Im selben Augenblicke öffnete sich die Gardine. Eine Hintergrundsdekoration, die Berg und See darstellte, hatte sich jetzt vor den griechischen Tempel geschoben, das Kuhhorn erklang, und dazwischen läuteten die Glocken einer Herde. So verändert war die Szene; aber veränderter war das Bild, das innerhalb derselben erschien. An die Stelle der jugendlichen Gestalt in Weiß trat eine alte Dame in Schwarz: Mademoiselle Alceste, die die Kostümfrage mit äußerster Geringschätzung behandelt und, das schwarze Seidenkleid (ihr eines und alles)! beibehaltend, sich damit begnügt hatte, durch einen langen Hirtenstab und einen den Guseschen Gewächshäusern entnommenen Rhododendronstrauß das Schweizerisch-Nationale, durch ein Barett mit blinkender Agraffe aber den Stil der großen Tragödie herzustellen. Das »Ah!« der Bewunderung, das Kathinka empfangen hatte, blieb ihr gegenüber aus, aber sie achtete dessen nicht, aus langer Erfahrung wissend, daß der Ausgang entscheide, und dieses Ausgangs war sie sicher.
    Sie sprach nun, jedes falsche Echauffement vermeidend, erst die den Gatten um Mitteilung seines Geheimnisses beschwörenden Worte: »Pourquoi donc affecter avec moi ce mystère?«, dann in rascher Reihenfolge die nur kurzen Sentenzen, die sich abwechselnd an die Geßlerschen Knechte und zuletzt an Geßler selbst richteten. In jedem Worte verriet sich die gute Schule, und bei Schluß dieser dritten Szene durfte sie sich ohne Eitelkeit gestehen, daß sie »ihr Publikum in der Hand habe«.
    Aber die vierte Szene:

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