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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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andere Stube, weil ich genug habe, was tut sie? Sie kommt mir nach. Und da geht es weiter. Das ist, was man die menschliche Natur nennt. Und der Russe is auch ein Mensch. Erst recht. Ich sage dir, Rabe, der Russe kommt, und der Kaiser wird
nicht
kommen. Denn die Franzosen haben ihn satt; und das kannst du mir glauben, so sehr viel is auch nie mit ihm los gewesen. Ich hab es schon Anno sechs gesagt, als er auf seiner brandroten Fuchsstute hier einritt, mit seinem gelben Gesicht und den stechenden Augen. ›Kinder‹, sagt ich, ›es is doch man ein ganz kleiner Kerl; der Alte Fritz war auch kleine, aber so kleine war er doch noch lange nich.‹ Ich bin nu mal für die Großen. So wie Saldern war oder Möllendorf.«
    Es schien, daß Stappenbeck noch fortfahren wollte, aber ein Krüppel, der mit zurückgebundenen Fußstummeln von Tisch zu Tisch rutschte, hielt ihm eben ein Blatt entgegen und sagte: »Das is was für Sie, Herr Stappenbeck; ein Groschen, aber ich nehm auch zwei.«
    Es war ein löschpapierner Bogen: »Neue Lieder, gedruckt in diesem Jahr«, mit zwei Holzschnitten, von denen der eine die drei Grazien in einem ovalen Rosenkranze, der andere auf der Rückseite einen kleinen Amor darstellte.
    Stappenbeck gab dem Krüppel die gewünschte doppelte Löhnung und schlug den Bogen auseinander, in dem er irgendeinen franzosenfeindlichen Reim, wie sie damals mit Hilfe solcher fliegenden Blätter verbreitet wurden, zu finden hoffte. Er überflog die Überschriften: »Ännchen von Tharau«, »Frisch auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd«, »Herr Schmidt, Herr Schmidt«, »Das Gespenst in Tegel«. Er wurde ungeduldig und drehte den Bogen um: »Die Schlacht bei Groß-Aspern«, »Oh, Schill, dein Säbel tut weh«; sollte der Krüppel diese beiden gemeint haben? Aber das waren ja bekannte Sachen. Halt, hier,
das
mußt es sein; es hatte keine Überschrift, aber die beiden ersten Zeilen konnten als solche gelten.
    »Lies«, sagte Rabe, der dem Gesichte Stappenbecks ansah, daß er endlich gefunden hatte, was er suchte. Und Stappenbeck las:
     
    »Warte,
    Bonaparte;
    Warte nur, warte, Napoleon,
    Warte, warte, wir kriegen dich schon.
     
    Ja der Russ'
    Hat uns gezeigt, wie man's machen muß:
    Im ganzen Kremmel
    Nicht eine Semmel,
    Und auf den Hacken
    Immer nur Hunger und Kosaken,
    Ja der Russ'
    Hat uns gezeigt, wie man's machen muß.
    Hin ist der Blitz
    Deiner Sonne von Austerlitz,
    Unterm Schnee
    Liegen all deine Corps d'Armée.
    Warte,
    Bonaparte;
    Warte nur, warte, Napoleon,
    Warte, warte, wir kriegen dich schon.«
     
    Die nächste Folge war, daß der Krüppel wieder herangewinkt wurde; jeder wollte jetzt seiner Frau den Spottvers mit nach Hause nehmen. Von dem Mitleid, das die Vorlesung des Bulletins begleitet hatte, war nichts mehr übrig, und besonders Schnökel wiederholte mit wachsendem, von Hustenanfällen begleiteten Behagen: »Im ganzen Kremmel nicht eine Semmel.« Ihr Lesen und Lachen war an den umstehenden Tischen bemerkt worden, und ein alter Herr, der freilich nichts weniger als geneigt aussah, an ihrer Heiterkeit teilzunehmen, und von Rabe als »Herr Klemm«, von Stappenbeck aber mit besonderer, etwas spöttischer Betonung als »Herr Feldwebel Klemm« begrüßt wurde, trat an sie heran. Die Charge, bei der ihn Stappenbeck nannte, erklärte zum Teil das Aparte seiner Erscheinung. Er hielt sich kerzengerade, hatte das spärliche weiße Haar mit einem großen Kamme nach hinten zu zusammengesteckt und trug zu seinem langen blauen Rock und schwefelgelber Weste ein Paar Reiterstiefel, die bis zum Knie hinauf blitzblank geputzt waren. Der hagere Hals steckte in einer steifen Binde.
    »Wollen Sie nich Platz nehmen, Herr Klemm?« fragte Rabe.
    »Haben Sie schon gelesen, Herr Feldwebel Klemm?« fügte Stappenbeck hinzu und überreichte ihm den Bogen, den er mittlerweile derart zusammengefaltet hatte, daß das Lied, auf das es ihm ankam, obenauf lag.
    Klemm dankte und las den Spottvers, während er aus seiner holländischen Pfeife kleine Wölkchen blies. Er verzog keine Miene, legte, als er geendet, das Blatt wieder auf den Tisch und sagte: »Die Polizei, die sich um vieles kümmert, das sie nichts angeht, macht die Augen zu, wo sie sie aufmachen sollte. Wohin führt das? Zu Krawall und Auflehnung. Und was ist das Ende vom Liede? Wir werden statt an der linken Hand an beiden Händen gebunden werden, und an den Füßen dazu.«
    Er schlug mit den Knöcheln seiner rechten Hand auf das vor ihm liegende Blatt und fuhr fort:

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