Vor dem Sturm
nu merk ich ja, was er vorhat, und rufe aus meinem Bett heraus: ›Zweites Fach, rechts.‹ – ›Schon gut, Frau Hulen‹, sagt er, ›ich habe schon‹, und nu dauert es auch gar nicht lange mehr, da ist er da. Und was bringt er? Einen richtigen Kamillentee, bloß ein bißchen zu stark und noch zu heiß. Aber da goß er ihn ja aus der Obertasse in die Untertasse, zweimal, dreimal, bis er mundrecht war. Und nu trank ich. Und wollen Sie glauben, mir wurde gleich besser. Ich will nich sagen, daß es der Kamillentee war, aber die Guttat war es, die ging mir zu Herzen, und der Magenkrampf war weg.«
»Aber liebe Hulen!« sagte jetzt langsam und jede Silbe betonend die Laacke, die während der ganzen Erzählung verlegen auf ihren Teller geblickt hatte.
Die Hulen aber ließ sich nicht einschüchtern und erwiderte ziemlich scharf: »Liebe Laacke, ich sehe bloß, daß Sie noch keinen Magenkrampf gehabt haben.«
»Sehr richtig«, bemerkte Ziebold, indem er der neben ihm sitzenden Alten gutmütig und vertraulich auf ihrer welken Hand herumtrillerte, »ich habe die Bekanntschaft dieses Peinigers nur einmal gemacht, aber gerade gründlich genug, um zeitlebens zu wissen, was es mit ihm auf sich hat. Das war Anno sechs, an dem Tage, als die Löffelgarde einzog. Es regnete leise und war schon kalt. Wann war es doch, Herr Feldwebel Klemm?«
»Ende Oktober.«
»Ganz richtig; ich erkältete mich bis auf den Tod und hatte Schmerzen, daß ich schrie; aber es tut mir doch nicht leid, bei diesem Löffelgardeneinzug mit dabeigewesen zu sein.«
»Warum hieß es denn eigentlich die Löffelgarde?« fragte Ulrike.
»Weil sie statt des Federstutzes einen blechernen Löffel trugen. Die anderen Herrschaften werden es damals alle gesehen haben, aber wenn Mamsell Grüneberg davon hören will...«
»Bitte«, sagte Ulrike verbindlich, und Ziebold, der sich von der ihm unbequem werdenden Kontrolle seiner Frau frei zu machen begann, fuhr ohne weiteres fort: »Diese Löffelgarde, wie mir Herr Feldwebel Klemm bestätigen wird, hatte allerhand Absonderlichkeiten und schickte, wenn sie einzog, einen aus ihrer Mitte voraus, der zwanzig oder dreißig Schritt vor der nachrückenden Kolonne ging und durch sonderbare Manieren und ein absichtlich abgerissenes Kostüm ankündigen mußte: ›Jetzt kommt die Löffelgarde!‹ Denn sie waren stolz auf ihren Namen und ihr Abzeichen.«
Ziebold, der als guter Erzähler den Wert einer Pause zu schätzen wußte, bat hier um ein Glas Wasser und nahm erst, als Frau Hulen das Gewünschte gebracht hatte, seinen Faden wieder auf.
»Ich sehe noch den ersten, der durch das Hallesche Tor kam. Er gehörte zu dem schlimmen Davoustschen Corps, und alles, was dieses Corps bedeutete, das lag in diesem einen vorausmarschierenden Mann. Er war lang und hager, mit blassem Gesicht und pechschwarzem Haar, das ihm tief in die Stirn hing. Seine Beinkleider, von einer Art Leinenzeug, waren schmutzig und zerrissen, und die halbnackten Füße steckten in Schuhen, eigentlich nur noch Sohlen, die wie Sandalen festgebunden waren. Ein Pudel, den er an einem Strick führte, ging auf zwei Beinen nebenher und fing die Brotstücke auf, die ihm von ihm zugeworfen wurden. An seinem Pallasch aber, den er statt des gewöhnlichen Infanteriesäbels trug, hing eine Gans, und auf dem kleinen, fuchsig gewordenen Hut, den er schief und pfiffig aufgesetzt hatte, steckte der blecherne Löffel, das Feldzeichen der ganzen Bande.«
»Ach, wie nett«, sagte Ulrike, der zu Ehren die ganze Geschichte erzählt worden war, »ein blecherner Löffel, es ist doch zu komisch.«
Feldwebel Klemm aber, der keine Gelegenheit vorübergehen ließ, seine Franzosenfreundlichkeit zu betonen, und durch den wohlberechneten Appell an sein endgültiges Urteil nicht ganz gewonnen worden war, rief über den Tisch hin: »Ich möchte Herrn Ziebold nur bemerken, daß es doch am Ende keine ›Bande‹ war, die damals unter dem Befehl des Marschall Davoust, Herzogs von Auerstedt und späteren Prinzen von Eckmühl, Durchlaucht, durch das Hallesche Tor einzog.
Wenn
es aber eine Bande war, so war es jedenfalls eine ganz aparte, denn sie kam recte von Jena her, wo wir, um es milde zu sagen, vor dieser Bande nicht zum besten bestanden hatten.«
»Nein, nicht zum besten«, antwortete Frau Hulen. »Aber nichts für ungut, Herr Feldwebel Klemm, davon dürfen wir nicht sprechen, denn das ist ein schlechter Vogel, der sein eigen Nest beschmutzt, und das Unglück von damals oder die Schande
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