Vor dem Sturm
das erste dieser Paare in Frau Hulens Zimmer ein. Es waren Herr Ziebold und Frau, er an seinen Löckchen und seiner goldenen Brille, sie an ihrer theaterhaften Haltung und einem ebenso eng anliegenden wie tief ausgeschnittenen Seidenkleid erkennbar.
Schimmelpenning drückte statt eines Grußes nur leise das Kinn nach unten und würde durch seine reservierte Haltung, die so weit ging, daß er beide Hände auf den Rücken legte, noch mehr aufgefallen sein, wenn nicht das zweite Paar, das beinahe unmittelbar folgte, die Aufmerksamkeit von ihm abzogen hätte. Es waren Herr Deckenflechter Grüneberg und Tochter, ein hagerer, wachsfarbener Mann, der, weil er auf einem kleinen Stubenwebstuhl allerhand filzartige Tuchstreifen zu breiten und schmalen Fußdecken zusammenwebte, gelegentlich auch Herr Teppichfabrikant Grüneberg genannt wurde. Er selbst bedeutete wenig, trotz seiner Eulenphysiognomie, in welcher Stirn, Kinn und Nasenspitze an derselben senkrechten Linie, Mund und Augen aber weit zurück und sozusagen wie im Schatten lagen; desto mehr aber bedeutete seine Tochter, die, groß und stark und ohne alle Ähnlichkeit mit ihm, überhaupt gar nicht seine Tochter, sondern ein angeheiratetes Kind aus seiner verstorbenen Frau erster Ehe war. Sie hieß Ulrike. Beinahe häßlich, mit großen, nichtssagenden und zum Überfluß auch noch weit vorstehenden Augen, hatte sie doch die feste Überzeugung: schön und durch ihre Schönheit zu etwas Höherem berufen zu sein. Ihr Umgang mit Frau Hulen erschien ihr unter ihrem Stande, mehr noch unter ihren persönlichen Ansprüchen, wurde aber doch von ihr gepflegt, weil sie wußte, daß ein adeliger junger Herr bei der Alten zu Miete wohnte. Ihre Gedanken gingen immer nach dieser Richtung hin.
Herr Ziebold hatte sich neben Mamsell Laacke auf das Sofa gesetzt; Ulrike trat an das Theater und nahm einzelne Figuren, Karl Moor, Roller und den hübschen Kosinski, aus der offenen Szene heraus; von der Zunzen war keine Rede mehr. Schimmelpenning, den Rücken gegen eins der Fenster gelehnt, starrte gleichgültig auf die Decke, und nur Ziebold und Grüneberg unterhielten ein Tagesgespräch, zu dem beide sehr ungleich beisteuerten, Grüneberg in einem Schwall von Worten, Ziebold in einzelnen kurzen und mitunter spöttischen Bemerkungen. Die Hulen kam immer mehr in Aufregung; sie fühlte, daß es nicht so ging, wie es gehen sollte, und immer neue Versuche zur Annäherung ihrer Gäste machend, sagte sie schon zum dritten oder vierten Mal: »Sie kennen sich ja schon von früher.«
Die so Angeredeten schienen sich aber jedesmal nur sehr langsam und widerstrebend darauf zu besinnen. Die Widerstrebendste war Frau Ziebold. Sie spielte mit ihrer goldenen Erbskette, über deren Ursprung allerhand dunkele Gerüchte gingen, und warf ihrem Manne Blicke zu, sich mit dem dummen Menschen, dem Grüneberg, nicht zu weit einzulassen. Sonst verzog sie keine Miene. Nur wenn sie Ulrikens Wichtigkeit sah, lächelte sie. Denn sie kannte die Grünebergs »vom Geschäft her« und hatte der Tochter, die hinter dem Rücken des Vaters alles tat, was ihr bequem war, mehr als einmal aus der Verlegenheit geholfen.
Von Gästen fehlte nur noch Feldwebel Klemm; endlich kam auch er, und Frau Hulen, die Wunderdinge von ihm erwartete, atmete auf. Er war in demselben Aufzuge, Stulpenstiefel und hochzugeknöpfte schwefelgelbe Weste, in dem er sich überall präsentierte, und machte sich, nachdem er Mamsell Laacke zum Ärger Ulrikens mit besonderer Auszeichnung begrüßt hatte, namentlich mit den Ziebolds zu schaffen, sei es, weil er in seiner Eigenschaft als Zwischenträger und Gelegenheitsmacher allerhand unaufgeklärte Beziehungen zu ihnen hatte oder weil er einfach zeigen wollte, daß er das Recht habe, sich über das Gerede der Leute wegzusetzen und seine Sonne über Gerechte und Ungerechte scheinen zu lassen. An Schimmelpenning, der mittlerweile seine Stellung mit halbrechts gewechselt und sich an einen altmodischen Eckschrank gelehnt hatte, ging er ohne Gruß vorüber; beide maßen sich mit einem Ausdruck von Geringschätzung.
»Wir sind nun alle beisammen«, nahm Frau Hulen das Wort, »und ich denke, wir wollen recht fröhlich und ausgelassen sein. Nicht wahr, liebe Laacke? Sie singen uns doch nachher etwas? ›Schweizerfamilie‹ oder ›Bei Männern, welche Liebe fühlen‹.«
»Aber, liebe Hulen.«
»Warum nicht, Laackechen? Es ist ja bloß ein Lied. Und Mamsell Ulrike hört es gewiß gern und wir andern auch. Und
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