Vor dem Sturm
von damals, ich weiß nicht, was richtig ist, das muß nun begraben und vergessen sein. Ich habe freilich auch gedacht, es wäre mit uns vorbei, weil es alle Leute sagten, und man ist doch nur eine arme Frau, die nicht ›nein‹ sagen darf, wenn die andern ›ja‹ sagen. Aber das kann ich Ihnen sagen, Herr Klemm, schon das nächste Jahr, als ich die zwei grünen Särge sah, da wußte ich, daß wir wieder aufkommen würden.«
»Zwei grüne Särge?« fragte Ulrike und versuchte zu lachen.
»Ja, zwei grüne Särge, drin die beiden alten Sängebuschens begraben wurden. Er und sie. Haben Sie denn nicht davon gehört, Ulrikchen? Sie müssen doch damals, mit Permission, schon ein halbwachsenes junges Ding gewesen sein.«
»Nein«, versicherte Ulrike.
»Nun«, fuhr Frau Hulen fort, »die beiden alten Sängebuschens, die hier gleich um die Ecke wohnten, zwei Häuser von der Waisenkirche, die waren es also. Er war Registrator, aber früher war er Soldat gewesen und hatte unter vier Königen gedient, und als das Rheinsberger Denkmal fertig war und Prinz Heinrich alle alten Soldaten einlud, da lud er auch den alten Sängebusch ein, daß er mit dabeisein sollte. Ich habe den Brief selbst gesehen, alles deutsch geschrieben, aber Henri war französisch. Und als er nun starb, ich meine den alten Sängebusch, da fanden sie einen Zettel, darauf geschrieben stand, daß er in einem grünen Sarge begraben werden wolle, bloß um seinen Glauben und seine Zuversicht zu zeigen, daß sein liebes Vaterland Preußen wieder aufkommen würde... Und nun starb ja die Frau, die auch alt und krank war, denselben Tag, und so kam es, daß
zwei
grüne Särge bestellt wurden. Der alte Prediger Buntebart aber, als sie begraben werden sollten, ließ eine schwarze Bahrdecke darüber decken, weil er ängstlich war und keinen Lärm und keinen Aufstand haben wollte. Aber da kannt er die Berliner schlecht, und als der Zug sich in Bewegung setzte, rissen sie die Bahrdecke herunter, daß die grünen Särge wieder sichtbar wurden, und so trugen sie sie zwischen vielen tausend Menschen hin, und alles nahm den Hut ab und dachte bei sich: ›Ob wohl der alte Sängebusch recht behalten wird?‹ Und er
hat
recht behalten. Bäcker Lehweß, als ich heute das Frühstück holte, sagte zu mir: ›Hören Sie, Hulen, Preußen kommt wieder auf.‹ Und der alte Bäcker Lehweß sagt nicht leicht was, was er nicht verantworten kann.«
Herr Ziebold nickte der alten Hulen freundlich zu, Feldwebel Klemm aber, mit dem linken Zeigefinger zwischen Hals und Krawatte hin- und herfahrend, sagte halb ungeduldig, halb herablassend: »Das ist eine rührende Geschichte, Frau Hulen; aber den alten Sängebusch und seinen grünen Sarg in Ehren, er könnte sich doch geirrt haben.«
»Wer nicht?« antwortete Schimmelpenning, der nicht leicht eine Gelegenheit vorübergehen ließ, einer von Klemm geäußerten Ansicht zu widersprechen. »Wer nicht? sage ich noch einmal; Sie, ich, jeder. Irren ist menschlich, aber dieser alte Sängebusch hat sich
nicht
geirrt. Ich bitte mich nicht mißzuverstehen; grüne Särge hin, grüne Särge her, ich bin Protestant und verachte jeden Aberglauben. Diese grünen Särge sind eine Kinderei. Aber wir müssen doch wieder aufkommen, und warum? Weil wir die Gerechtigkeit haben. Da liegt es. Iustitia fundamentum imperii. Zeigen Sie mir in der ganzen alten und neuen Geschichte so etwas wie die Mühle von Sanssouci oder wie den Müller Arnoldschen Prozeß. Das Kammergericht, meine Herrschaften. Und ›es gibt noch Richter in Berlin‹, haben selbst unsere Feinde zugestanden. Ich will nichts gegen die Franzosen sagen, aber eins muß ich sagen: sie haben keine Gerechtigkeit. Und wo keine Gerechtigkeit ist, da ist kein Maß, und wo kein Maß ist, da ist kein Sieg. Und wenn ein Sieg da war, so hat er keine Dauer und verwandelt sich in Niederlage. Und der Anfang dieser Niederlage ist da. Der Russe drängt nach, wir legen uns vor, und so zerreiben wir diese französische Herrlichkeit wie zwischen zwei Mühlsteinen.«
»Sie sprechen von zwei Mühlsteinen«, lächelte Klemm, »gut, ich lasse die zwei Steine gelten, aber was dazwischen zerrieben werden wird, das werden nicht die Franzosen sein, sondern die Russen.«
»Nicht doch, nicht doch«, riefen Ziebold und Grüneberg gleichzeitig und setzten dann hinzu: »Oder zeigen Sie uns wenigstens, wie.«
Dieser Aufforderung hatte Klemm entgegengesehen.
»Es wäre gut, wir hätten eine Karte«, sagte er; »aber ein paar
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