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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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nicht wahr, Herr Ziebold, Sie begleiten doch? Aber nun wollen wir uns zu Tische setzen. Bitte, liebe Zunzen, helfen Sie mir den Tisch hereinbringen.«
    Unsere gute Hulen hatte die letzten Worte sehr laut gesprochen; nichtsdestoweniger antwortete die Alte, die vielleicht wirklich nicht gehört hatte, vielleicht auch nur ärgerlich war, zu dieser Dienstleistung wie selbstverständlich herangezogen zu werden: »Na, ich denke doch, bis zehn«, worauf sich Mamsell Laacke, um allen weiteren Erörterungen vorzubeugen, mit fast jugendlicher Raschheit erhob und den Eßtisch aus der Küche hereintragen half. Stühle wurden gerückt, und in kürzester Zeit saß alles: Klemm obenan, Frau Hulen unten, die Zunzen dicht neben ihr; dann kamen die Pfandleihersleute, an beiden Ecken einander gegenüber; neben Ziebold, wie sie es sich ausbedungen hatte, die Laacke.
    Alle Speisen standen schon in der Mitte, als erster Gang eine große Schüssel mit Mohnpielen, daneben links ein Heringssalat und rechts eine Sülze. Alles reich gewürzt; auf dem Mohn eine dichte Lage von gestoßenem Zimt, auf dem Salat kleine Zwiebeln, die mit Pfeffergurken und sauren Kirschen abwechselten. Ein echtes Berliner Essen.
    »Bitte, so vorliebzunehmen; Mamsell Ulrike, wollen Sie nicht so gut sein und die Pielen herumgehen lassen? Gott, wie ich mich freue!«
    »Ganz auf unserer Seite«, antwortete Herr Ziebold und putzte erst seine Brille, dann heimlich auch die Gabel am Tischtuchzipfel ab.
    Was das Gespräch anging, so konnte sich's aller Wahrscheinlichkeit nach nur darum handeln, ob es durch Klemm oder Schimmelpenning geführt werden sollte; Grüneberg war zu einfältig, und Ziebold, der in seinen jungen Jahren ein echter Berliner Vielsprecher gewesen war, hatte sich inzwischen aus diesem Geschäft zurückgezogen und begnügte sich damit, die Reden anderer mit einigen Schlagwörtern zu begleiten.
    »Sagen Sie, liebe Hulen«, nahm Schimmelpenning das Wort, »wie heißt denn eigentlich der junge Herr, der bei Ihnen wohnt?«
    »Vitzewitz, Herr Nuntius.«
    »Vitzewitz«, wiederholte dieser, »ein sonderbarer Name.«
    »Es kann nicht jeder Schimmelpenning heißen«, sagte Klemm und wechselte Blicke mit seinem Gegner. »Übrigens, wenn ich recht unterrichtet bin, heißt er
von
Vitzewitz.«
    Schimmelpenning war gerade gescheit genug, um die Malice herauszufühlen, ignorierte die Zwischenrede aber völlig und fuhr zu Frau Hulen gewandt fort: »Was studiert er denn eigentlich?«
    »Er studiert... es ist so was Fremdes und Lateinisches, und wenn er noch ein paar Jahre dabei bleibt, dann kommt er ans Kammergericht.«
    »Nu, nu«, sagte Schimmelpenning und reckte sich etwas höher.
    »Aber er wird nicht dabei bleiben; er hat immer anderes vor und liest den ganzen Tag Komödienstücke von einem Mohr, der seine Frau würgte, und von einem alten König, der wahnsinnig wurde, weil ihn seine Kinder, noch dazu Töchter, im Stiche ließen. Ich höre das immer, denn er spricht so laut, daß es die Zunzen durch die Wand hören könnte, nicht wahr, liebe Zunz, und wenn ich dann anklopfe und ihm einen Brief bringe oder eine Flasche frisches Wasser, dann seh ich mitunter, daß er geweint hat. Ja, Sie lachen, Herr Schimmelpenning, aber er hat ein weiches Herz, und ein weiches Herz ist keine Schande. Ich könnte davon erzählen, wie gut er ist.«
    »Nun, so erzählen Sie doch«, rief Ulrike, während Frau Ziebold und ihr Mann sich wieder verständnisvoll ansahen.
    Die Hulen aber fuhr fort: »Nun gut, Ulrikchen, ich will es Ihnen erzählen. Unsere Betten stehen nämlich Wand an Wand, und die Wand hat nur einen Stein. Und nun hab ich ja meinen Magenkrampf, und da hilft nichts, kein Doktor und kein Apotheker. Und richtig, es war so um Martini herum, und vielleicht war ich auch selber schuld, weil ich von dem Gänsebraten gegessen hatte, der immer Gift für mich ist, und siehe da, da hatt ich ihn wieder. Und ich wußte mir nicht anders zu helfen, denn die Wehtage wurden immer größer, und ich klopfte. Erst ganz leise; und als ich das zweite Mal geklopft hatte, da rief er: ›Gleich, Frau Hulen, ich komme schon.‹ Und als ich noch so denke, was wohl das beste sein wird, da steht er auch schon da, gestiefelt und gespornt, und sagt bloß: ›Magenkrampf? Ich dacht es mir; na, da weiß ich Bescheid, Frau Hulen.‹ Und keine halbe Minute, da hör ich ihn in der Küche, wie er Holz spaltet und in der Asche herumklopft und an meinem Küchenschapp die Kasten aufzieht, einen nach dem andern. Und

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