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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Dorf Plaa lag an der uns entgegengesetzten Seite des Gebirges, hart am Fuße desselben. General Sarsfield, als er diese Meldung empfing, war schnell entschlossen; er verstärkte die bis dahin nur aus vierhundert Pferden der Regimenter Alcantara und Granada bestehende Avantgarde durch zwei Bataillone vom Schweizerregiment Wimpfen und gab meinem Bruder Befehl, in einem Nachtmarsch über das Gebirge zu gehen und noch vor Tagesanbruch das jenseits gelegene Dorf Plaa zu besetzen. Der Aufbruch erfolgte sofort; ein entsetzliches Wetter aber, Regen und Sturm, bei dem der schmale Fußpfad nur derart passiert werden konnte, daß ein Mann dem andern folgte, verzögerte das Eintreffen in Plaa bis um zehn Uhr morgens. Es war die höchste Zeit; schon ging die französische Avantgardendivision unter General Eugenio (so daß sich hier zwei Namensvettern gegenüberstanden) gegen Dorf Plaa vor, und nur mit äußerster Anstrengung gelang es meinem Bruder, das Dorf bis Mittag zu halten.
    Um diese Stunde erschien General Sarsfield mit dem Gros und stellte das schon rückwärtsgehende Gefecht wieder her. Aber Terrain war unsererseits nicht zu gewinnen, und als eine Stunde später allerhand Verstärkungen auch beim Feinde eintrafen, ging dieser mit einem vollzähligen Dragonerregiment abermals zum Angriff über. Diesseits war momentan nichts zur Hand als ein in Ablösung unserer Avantgarde in die Front gezogenes Kürassierregiment, die Kürassiere von Katalonien, unter ihrem Kommandeur Don Pedro Gallon. Unmittelbar hinter den Kürassieren hielten wir: Alcantaradragoner und Granadahusaren. Unsere Kürassiere, kaum zweihundert Pferde stark, waren zu schwach und kamen ins Schwanken; aber im selben Augenblicke, wo mein Bruder das Schwanken wahrnahm, gab er uns das Zeichen zum Angriff, und in langer Linie stürzten wir in die linke Flanke der feindlichen Dragoner. Sie wichen sofort und verwickelten ein hinter ihnen haltendes Chasseurregiment mit in die eigene Flucht. Die Verfolgung ging eine Meile weit, es gab viele Gefangene; General Eugenio, der persönlich die Flucht aufzuhalten gesucht, wurde niedergehauen und starb am Tage darauf.

    Es war ein vollständiger Sieg und seitens der Unserigen nicht allzu teuer erkauft; nur
ich
verlor viel an diesem Tage: mein Bruder Eugen, wie der General Eugenio, dem er gegenübergestanden hatte, erlag seinen Wunden. Was ich noch zu sagen habe, betrifft nur ihn und mich.
    Um fünf Uhr war das Gefecht beendet, und ich führte, was ich vom Regiment Alcantara noch zur Hand hatte, wieder auf Plaa zurück. Ich war im ganzen gut davongekommen, hatte aber während des Démêlés von einem französischen Dragoner, den ich packen wollte, einen Stoß mit dem Degengefäß in das Gesicht erhalten, so daß ich, schwarz und angeschwollen, einen schlimmeren Anblick gewährte als mancher Schwerblessierte. So trat ich vor meinen Bruder, von dessen Verwundung ich schon unterwegs gehört hatte. Ich fand ihn in einem Bauernhause von Plaa in Pflege guter Leute. Als er mich sah, drang er darauf, daß ich mich zunächst verbinden lassen sollte, was denn auch geschah. Als ich wieder zu ihm kam, setzte ich mich, und wir begannen zu plaudern. Zunächst von der Affaire, die nun glücklich hinter uns lag. Ich mußte ihm alle Kleinigkeiten erzählen, denen er mit größtem Interesse folgte; meinem Pferde beispielsweise, einem schönen schwarzen Hengst, war ein Ohr dicht vom Kopfe weggehauen worden, was er sehr bedauerte. Besondere Aufmerksamkeit aber schenkte er einem Tagebuche, das sich in einem Mantelsacke, der mir bei der Beuteverteilung zugefallen war, vorgefunden hatte. Es war von dem ersten Einrücken der Franzosen in Katalonien bis zum 14. Januar 1811 mit großer Genauigkeit geführt und enthielt, von kleinen Croquis begleitet, eine Schilderung fast aller Gefechte, in denen auch wir engagiert gewesen waren. Eugen blätterte halbe Stunden lang in dem Buche und lobte die Unparteilichkeit der Darstellung. Ich glaubte nach allem an nichts weniger als Gefahr und mußte dem Doktor recht geben, der trotz heftiger Schmerzen, über die der Verwundete von Zeit zu Zeit klagte, immer nur von zwei leichten Blessuren sprach. Es waren Degenstiche in die linke Seite. Auffallend erschien mir nur seine Weichheit; er war in einer gefühlvollen Stimmung, sprach viel von Hause, von unserem alten Vater und trug mir Grüße auf, da er auf einige Wochen noch am Schreiben gehindert sein werde.
    So verging der Abend. Ich hatte vor, trotz aller Ermüdung

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