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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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nur überhaupt eingegangen, sondern auch mit einer Bereitwilligkeit, deren ironischer Beigeschmack von dem unglücklichen Himmerlich sehr wohl herausgefühlt wurde.
    »Wir wenden uns nunmehr dem zweiten der eingegangenen Beiträge zu«, fuhr Lewin fort. »Es sind Strophen unseres sehr verehrten Gastes, des Herrn Hansen-Grell, den in kürzester Frist als Mitglied dieses Kreises begrüßen zu dürfen ich als meinen persönlichen, übrigens von allen Mitgliedern der Kastalia geteilten Wunsch ausgesprochen haben möchte. Ich bitte, Herrn Hansen-Grell, seine Strophen lesen zu wollen.«
    Dieser zog, um des Tabakrauches willen, der bereits seine Schleier auszuspannen anfing, das Licht etwas näher an sich heran und begann dann ohne Zögern, mit ruhiger, aber sehr eindringlicher Stimme: »
Seydlitz;
geboren zu Calcar am 3. Februar 1721.«
    »Ist das die Überschrift?« unterbrach Jürgaß.
    »Ja«, war die kurze Antwort.
    »Nun, da bitt ich doch bemerken zu dürfen, daß mich dieser Titel noch mehr überrascht als Bau und Reimstellung der Himmerlichschen Spencerstrophe. ›Geboren zu Calcar, am 3. Februar 1721‹, das ist die Überschrift eines Nekrologs, aber nicht eines Gedichtes«
    »Und vor allem eine Überschrift«, erwiderte Hansen-Grell in heiterer Laune, »die niemand anders verschuldet hat als Herr von Jürgaß selbst. Ohne seine Abneigung gegen alles, was einer Captatio benevolentiae ähnlich sieht, würde der Titel meines Gedichtes einfach ›General Seydlitz‹ gelautet haben; aber jeder Möglichkeit beraubt, das mir unerläßliche ›geboren zu Calcar‹ auf dem herkömmlichen Vorredewege zu Ihrer freundlichen Kenntnis zu bringen, ist mir nichts andres übriggeblieben, als jene biographische Notiz gleich mit in die Überschrift hineinzunehmen.«
    »Und so haben wir doch wieder eine Vorrede gehabt...«
    »Weil wir keine haben sollten. – Aber ich bin zu Ende.«Und Hansen-Grell las nun ohne weitere Störung:
     

»General Seydlitz
     
    In Büchern und auf Bänken,
    Da war er nicht zu Haus,
    Ein Pferd im Stall zu tränken,
    Das sah schon besser aus;
    Er trug blanksilberne Sporen
    Und einen blaustählernen Dorn –
    Zu Calcar
war er geboren,
    Und Calcar, das ist Sporn.
     
    Es sausen die Windmühlflügel,
    Es klappert Leiter und Steg,
    Da, mit verhängtem Zügel,
    Geht's unter dem Flügel weg;
    Und bückend sich vom Pferde,
    Einen vollen Büschel Korn
    Ausreißt er aus der Erde –
    Hei, Calcar, das ist Sporn.
     
    Sie reiten über die Brücken,
    Der König scherzt: ›Je nun,
    Hie Feind in Front und Rücken,
    Seydlitz, was würd Er tun?‹
    Der, über die Brückenwandung,
    Setzt weg, halb links nach vorn,
    Der Strom schäumt auf wie Brandung –
    Ja, Calcar, das ist Sporn.
     
    Und andre Zeiten wieder;
    O kurzes Heldentum!
    Er liegt todkrank danieder
    Und lächelt: ›Was ist Ruhm?
    Ich höre nun allerwegen
    Eines besseren Reiters Horn –
    Aber auch
ihm
entgegen,
    Denn Calcar, das ist Sporn.‹«
     
    Ein Jubel, wie ihn die Kastalia seit lange nicht gehört hatte, brach von allen Seiten los und legte, wie Hansen-Grell, um sich dadurch weiteren Ovationen zu entziehen, scherzhaft bemerkte, ein vollgültiges Zeugnis von der kavalleristischen Zusammensetzung der Dienstagsgesellschaft ab. Er traf es hiermit richtig: Bninski, Hirschfeldt, Meerheimb waren Kavalleristen von Fach, Tubal und Lewin gute Reiter. Aber auch die Minorität ließ es an lebhaften Beifallsbezeugungen nicht fehlen; Bummcke, wenn nicht Reiter, war doch wenigstens Soldat, Rabatzki tadelte nie, und Himmerlich fühlte sich erleichtert, seine Verstimmung hinter enthusiastischen, wenn auch kurzen und etwas krampfhaften Ausrufungen verbergen zu können. Gewann er doch für sich selbst und nebenher noch das Wohlgefühl neidloser Charaktergröße.
    Endlich hatte sich die Aufregung gelegt, und Tubal bat ums Wort, was ihm zu verschaffen, bei einer zwischen Bummcke und Jürgaß über die Zulässigkeit der Wendung »halb links nach vorn« eben wieder ausgebrochenen Privatfehde, einigermaßen schwerhielt. Zuletzt aber gelang es, und Tubal bemerkte nun: »Ich bitte zunächst an einen Satz erinnern zu dürfen, den Doktor Saßnitz vor einiger Zeit an dieser Stelle aussprach: ›Unsere Strenge ist unser Stolz.‹ Sie fühlen, daß dies die Brücke ist, auf der ich zu einem Angriff vorgehen möchte. Der Reiz des Gedichtes, das wir eben gehört, liegt ausschließlich in seinem Ton und seiner Behandlung; es ist keck gegriffen und keck durchgeführt, aber es hat von

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